Von Reisende.[]
Friedrich Schulz.[]
- [1791]
Bey der Menge der Armenanstalten kann man es sich erklären, warum man in Paris nach Verhältniß so wenig von Bettlern überlaufen wird. Allerdings wacht die Polizey sehr strenge über diese Menschenklasse, die aufgehoben wird, wo man sie findet, da ihr keine Entschuldigung für ihr Handwerk bleibt und da sie oft sehr schädliche Glieder für die Gesellschaft in ihrem Schooße nährt. In jedem Quartiere der Stadt sind sogenannte Depots, wo man sie vor der Hand, bis auf weitere Versorgung oder gänzliche Entfernung verwahrt hält, wo sie arbeiten müssen und dafür ernährt werden. Nur Blinden ist es erlaubt, zu betteln, doch dürfen sie nicht auf den Straßen herum gehen und die Vorübergehenden anschreyen. Man findet sie meist in den lebhaften Straßen und auf lebhaften Plätzen, wo sie in einem Winkel sitzen und durch ein Instrument die Vorübergehenden aufmerksam auf sich machen. Auf den alten Boulevards findet man mehrere, die auf den Bänken dort herumsitzen und die Geige spielen.
Gebrechlichen Bettlern sieht die Polizey durch die Finger, freylich hier und da zum Ekel und Grausen der Spatziergänger. So liegen auf den Boulevards beständig Leute mit bösen Geschwüren an den Füssen oder Armen, die sie in ihrer ganzen Scheußlichkeit zur Schau legen, um das Herz der Vorübergehenden desto gewisser zu rühren. Man bringt sie des Morgens hin und die bleiben den ganzen Tag, oft in der stärksten Sonnenhitze und im heftigsten Regen liegen, was allein schon ihre Schäden unheilbar macht, wenn man auch nicht wüßte, daß sie dieselben oft mit allerley hineingestreueten Aetzmitteln freywillig verschlimmern. Wie in Paris alles verfeinert ist, verfeinern auch die Bettler ihre Kunst und ich werde Gelegenheit haben, anderwärts einige Beyspiele davon anzuführen. Hier nur diese:
Weiber miethen sich hier, wie in London, kranke Kinder und betteln damit. Je elender und gebrechlicher sie sind, desto mehr Miethe kosten sie, weil man voraussetzt, daß sie dadurch desto mehr einbringen. Viele miethen drey oder vier auf einmal, die sie an sich herum hängen und tragen, um desto einleuchtender zu machen, wie schwer es werden muß, sie zu ernähren. Oft lachen oder essen die Kinder mit der sorglosesten Miene, während ihre Trägerinn im Tone des tiefsten Elends versichert, sie würden Hungers sterben. In der Vorstadt S. Antoine habe ich einen Kampf zwischen zwey Bettelweibern gesehen, der, wie mit eine Dritte versicherte, daher entstanden war, daß die eine die andere in der Miethe eines elenden Kindes überbothen hatte.
Die Bettler in Deutschland setzen Gott, Bibel und Gesangbuch in Bewegung, um zum Mitleiden zu stimmen: das thun die hiesigen nicht. Sie erzählen bloß ihre Noth, versichern, daß man sie mit ein Paar Sous sehr glücklich machen würde, und danken, wenn man ihnen gegeben hat, in ihrem eigenen und nicht in Gottes Namen. Monseigneur, (sagen die armen Savoyarden-Buben) voilà un pauvre petit malheureux, qui implore votre charitable bonté. Je me meurs de faim. Monseigneur me pourra rendre heureux avec quelques liards C'est pour acheter de l'huile pour décroter &c. &c. *) Dabey haben sie ihr leeres Oelfläschchen in der Hand und ihr Schuhputzerbänkchen auf dem Rücken. Gibt man ihnen, so laufen sie zu ihren Kameraden zurück und verspielen das Geld an sie oder gewinnen ihnen das ihrige damit ab.
- *) Gnädigster Herr, Sie sehn hier einen armen kleinen Buben, der Ihre Menschenfreundlichkeit und Güte anfleht. Ich sterbe fast vor Hunger. Der gnädige Herr könnten mich mit einigen Liards glücklich machen; ich würde mir Oel dafür kaufen und Schuhe putzen xc.
Die Art, wie die hiesigen Bettler die Aufmerksamkeit zu erregen und die Verbote der Polizey zu umgehen wisse, ist oft sehr fein und originell.
So sah ich einen Mann, der auf einem Esel durch alle Straßen ritt. Der Reiter hatte keine Arme und der Esel keinen Zaum. Wenn jener ihn auf der rechten Seite mit dem Fuß in die Seite stieß, so ging er links, stieß er ihn auf der linken Seite, so ging er rechts, und so lenkte er ihn, wohin er wollte. Der Reiter empfing Allmosen unter den Augen des Guet, aber wohlgemerkt nur als freywilliges Geschenk, das man ihm, da er keine Arme hatte, selbst in die Tasche stecken mußte. Er bettelte auch niemand mit Worten an, sondern nur mit Mienen. So konnte ihm die Polizey nichts anhaben.
Ein anderer Mann, der nur einen Fuß hatte, saß auf einem kleinen Karren, den ein Esel zog. Er spielte zwey Instrumente auf einmal: mit den Händen eine Geige, mit dem Fuß eine Trommel, die auf der einen Seite eine Ruthe und auf der andern einen Klöppel hatte, die er beyde zugleich durch ein Pedal in Bewegung setzte. Den Vorübergehenden rief er zu: n'oubliez pas les Arts, Messieurs! *) Vom Betteln keine Spur. Sein Anon zog ihn unangetastet durch alle Straßen von Paris.
- *) Vergessen Sie die schönen Künste nicht, meine Herren!
Aehnliche Bettler sind die Musikanten, deren sich oft sechs bis acht zusammenthun und die Straßen durchziehen. Sie stehen vor keinem Hause still, wenn es nicht verlangt wird, rufen auch die Leute nicht an, sondern erwarten, was man ihnen zufällig gibt.
Die Pauvres honteux, die durch den fein fühlenden Sterne so berühmt geworden sind, haben immer noch ihren Sitz in Paris. Ich habe besonders ihrer zwey den Sommer über beobachtet. Sie waren beyde täglich im Palais Royal.
Der eine war ein kleiner, dürrer, gelber Mann, der Werkeltags einen braunen, ungefütterten Frak anhatte und des Sonntags in einem alten, in roth schattirenden, schwarzen Sammtkleide, einen Degen an der Seite, die Perücke gepudert und das gelbe Spitzenjabot in sein Licht gesetzt, zum Vorschein kam. Er war unter dem Pavillon des Kaffeehauses de Foi wie zu Hause, mischte sich in die Konversation, las die Zeitungen, und redete einen an, ohne daß man vom Anfange herein sein Handwerk ahndete. Saß man ihm gegenüber, so hütete er einem die Augen und sah man ihn an, so machte er eine wunderbare Bewegung mit den seinigen; seine Miene verzog sich auf eine flehende Weise und zuweilen zeigte er auch wohl auf den Aermel seines kahlen Fraks. Es war unmöglich mißzuverstehen, was er wollte. Wenn er sah, daß man mit der Hand in die Tasche fuhr, so bot er einem seine Dose, oder reichte einem ein Zeitungsblatt, oder warf sein Schnupftuch mit darunter gelegter Hand wie von ungefähr hin: kurz, auch dieß verstand man, und er bekam sein Allmosen, ohne daß er jemand sah. Nun dankte er ebenfalls mit den Augen, küßte auch wohl unvermerkt das Stück, das man ihm gab. Diese Delikatesse erhielt ihm sein Plätzchen unter dem Pavillon. Die Aufwärter und alle Gäste kannten ihn, und er sprach mit allen mit einer Offenheit und Unbefangenheit, als ob man nichts wüßte, und als ob er hier täglich Louisd'ors verzehrte. Man sieht aber wohl, daß Fremde besonders seine Kunden gewesen seyn müssen und deßhalb hatte er das P. R. und dieß lebhafte Kaffeehaus gewählt.
Der andre war ein langer, dünner Mann, der beständig in der Kleidung eines Advokaten erschien. Sein Kleid war von schwarzem, kahlen Tuche, die Haare flatterten, so lang sie waren, auf den Schultern und die Spitzen derselben waren in eine Locke geschlagen, wie sie die Advokaten in Paris alle zu tragen pflegen. Er hatte mehrere Kaffeehäuser im Palais Royal, wo er hinkam und sein Wesen trieb, war übrigens dem oben beschriebenen kleinen Bettler ein Dorn im Auge, so bald er unter dem Pavillon des Kaffeehauses de Foi erschien. Er setzte sich gewöhnlich zu Fremden, spann mit ihnen ein Gespräch an, lenkte es allmählig auf die Armuth in Paris im Allgemeinen und auf seine eigene insbesondere, wo er ihnen dann, aber nicht geradezu, Winke gab, daß etwas von ihrem Ueberflusse ihn sehr glücklich machen würde. Einige von den Gästen, die diese beyden Bettler kannten, gaben sich oft das Fest, sie an einander zu hetzen, und dieß ward ihnen leicht, weil der Brotneid ihrer Schadenfreude trefflich zu Statten kam. Sie sagten sich zuweilen sehr harte Dinge, der Kleine dem Großen mit Salz und Satyre, der Große dem Kleinen mit förmlichen Haranguen, die ihm wie Wasser flossen und wobey er ein unbeschreiblich wichtiges und pathetisches Wesen annahm. So erzählten sie einander ihre Geschichte mit verkleinernden Anmerkungen, aus welcher, letztre ungeglaubt, doch so viel hervorging, daß sie die Rolle, die sie jetzt spielten, beyde vor zwanzig Jahren nicht geahndet, aber wohl auf sie, mit Worten und Werken, losgearbeitet hätten. Der Große war ein berühmter und reicher Advokat gewesen, der Kleine ein Doktor der Medicin. Dieser nannte jenen immer in der Hitze: mon très mince Monsieur, und jener diesen mon très petit Sangrado. Gewöhnlich fingen sie damit an, daß sie sich wechselsweise nach dem Preise der Tinte und des warmen Wassers erkundigten. Dieß war die Losung zum Zungenkampfe, der aber nie in Schimpfworte und Lärm überging, weil sie sonst die Toleranz des Kaffeewirths verscherzt haben würden. Wenn die erste Hitze vorbey war, schienen sie die besten Freunde.
Andre Bettler und Bettlerinnen haben einen kleinen Kram und biethen einen von ihren Waaren an. Wenn man nicht kaufen will, betteln sie. Alle wissen lange Romane von ihrem Verfall zu erzählen.
Weiber stellen sich des Abends in eine Hausthür, in dem Anzug einer armen aber ehrbaren Wittwe. Wenn man vorbeygeht, strecken sie die Arme mit einem Seufzer flehend aus, ohne weiter ein Wort zu sagen.
Zeitungsnachrichten.[]
1807.[]
Gemeinnützige Anstalten und Vorschläge. [2]
Berlin. Seit dem Aprilmonat ist hier eine bey den jetzigen Zeitumständen sehr nothwendige Anstalt zur Abwendung des Straßenbettelns zu Stande gekommen. Alle diejenigen, die unter dem Vorwand der Nahrungslosigkeit oder des Mangels an Arbeit auf Straßenbetteley ausgegangen sind, können nun, laut einer Bekanntmachung des Armendirektoriums vom 1. April, an mehreren Orten der Stadt, die namentlich angegeben wurden, Gelegenheit finden, durch Flachsspinnerey und andere Arbeit bey Treue und Fleiß sich und ihren Kindern (vom 7ten Jahre an) Brod und Unterhalt zu verschaffen. Diejenigen, die von dieser Art von Arbeiten noch nichts hinlängliche Kenntnisse haben, sollen darin unterrichtet, und inzwischen sogleich bey ihrem Eintritt in diese Anstalten des Mittags und Abends beköstiget werden. Wenn sie aber des Geschäftes kundig sind, sollen sie, statt der bis dahin Statt gefundenen Beschaffenheit des Gespinnstes ein angemessenes Spinnerlohn erhalten, und die Spinnmaterialien zu Bearbeitung gegen geringe Sicherheit mit nach Hause nehmen dürfen. Dagegen werden die ernstlichsten Strafen denjenigen angedroht, die sich fernerhin noch muthwillige Betteley zu Schulden kommen lassen.
1808.[]
Miszellen. [3]
Das Betteln ist auf dem ganzen Gebiet des Französischen Reichs untersagt. Jeder Betretene wird aufgegriffen, in das zu errichtende und dann publizirt werdende Bettelhaus gebracht. Dahin werden Geschlechter und das Alter abgesondert. Der Staats-Schatz, die Departements und die Städte tragen die Errichtungskosten. In einem Monat muß ein allgemeiner Bericht darüber an das Ministerium des Innern durch die Präfekte erstattet seyn, worüber jenes Bericht an den Kaiser erstatten soll.