Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Die Zerstörung St. Sebastian's.[]

Gräuelthaten, die im Kriege, es sei von Feind oder Freund, ausgeübt werden, zu züchtigen, übernimmt die Geschichte, da die Macht der Zeitgenossen nicht immer ausreicht, sie zu bestrafen. Darum ist es Pflicht der letztern, sie der Nachwelt zu überliefern.

Die Zerstörung St. Sebastians, einer der vorzüglichsten Handelsstädte des nördlichen Spaniens, durch die Englisch-Portugiesische Armee unter dem Kommando des General Sir Thomas Graham, ist eine der schrecklichsten Begebenheiten unserer Zeiten, und dürfte auch in frühern nur solchen gleichgestellt werden können, die gewöhnlich auf ewig dem menschlichen Geschlechts als Abscheulichkeiten im Gedächtniß bleiben, und sie ist um so schrecklicher, als sie nicht unmittelbar von einem Feinde, sondern von Freunden, herbeigeführt wurde, welche die Stadt dem allgemeinen Unterdrücker entreißen sollten.

Schon längst wußte man, daß Spanischen Städte Ciudad-Rodrigo, Badajoz und St. Sebastian, die alle drei von der Englisch-Portugiesischen Armee den Franzosen stürmend entrissen wurden, der Wuth der Sieger Preis gegeben und alle drei mehr oder weniger der Vernichtung nahe gebracht worden seien. Allein es fehlte bis jetzt an authentischen Berichten über diese schreckliche Ereignisse. Wir theilen hier nun dem Leser ein Bruchstück aus einer Spanischen, in Tolosa gedruckten *) Schrift mit, die über eins dieser Ereignisse ein schreckliches Licht verbreitet. Diese Schrift ist von den Behörden und von mehr als hundert der vornehmsten Einwohner von St. Sebastian unterzeichnet.

*) Anno de 1814: por D. Francisco de la Lama, impresor de esta M. N. Y. M. L., provincia de Guipuscoa, y sa junta diputacion.

Man konnte hier wohl fragen, wie es möglich sei, daß das Kriegsvolk einer Nation, deren berufene und unberufene Wortführer sich zu Richtern aufwerfen über jede politische Handlung, über jedes Vergehn gegen die Rechte der Menschheit, welche nach ihrer Meinung andere Staaten sich zu Schulden kommen lassen, und sie so hart und schonungslos rügen, ungestraft solche Ausschweifungen und Abscheulichkeiten begehen darf? Diese Frage dürfte nur auf eine einzige Weise zu beantworten seyn. Die innere Organisation einer Brittischen Armee ist noch ganz die alte, und es hat darin keine von den nützlichen Veränderungen, wodurch die Kriegsmacht anderer Staaten zur kräftigsten Auswahl der Volksmacht wurde, Eingang gefunden. Noch immer sind Subaltern-Stellen käuflich; noch immer besteht der größte Theil der Gemeinen aus geworbenen Söldnern, mehrentheils liederlichem Gesindel, das zu nichts anderm taugt, als was man ehemals dem Kalbfell folgen nannte. Darum muß auch in einer Brittischen Armee eine ungemein strenge Mannszucht herrschen, die eine Volksarmee jetzt nicht mehr ertragen oder dulden könnte. Immer noch ist der Englische Soldat in Freundes oder Feindes Land auf seine Rationen beschränkt, und fehlen diese, so muß er oft in den volkreichsten Städten darben. Er findet nicht, wie der Soldat der neuorganisirten Europäischen Armeen, nach einem ermüdenden Tagmarsch den Tisch besetzt, das Bett bereitet. Darum macht auch noch bei einer Brittischen Armee die Verpflegung einen Theil der Kriegskunst aus, und Lord Wellington hatte während der Feldzüge in Portugal und Spanien oft große Hindernisse zu bekämpfen, welche die Schwierigkeit, Lebensmittel herbeizuschaffen, seinen Operationen in den Weg legte. Alles dieß erhellt deutlich aus der Geschichte dieser Feldzüge. Für die Entbehrungen, die der Englische Soldat im Felde zu erleiden hat, und als Reiz, sich anwerben zu lassen, ist ihm aber auch noch, wie der ehemaligen Soldateske, erlaubt, Beute zu machen, besonders aber wird ihm nach altem Gebrauch jede mit Sturm genommene Stadt zur Plünderung Preis gegeben.


"Er brach endlich an, der so sehnlichst erwartete Tag, den die Bewohner von St. Sebastian als den ihrer Erlösung und ihres Heils betrachteten. Das Feuer verdoppelte sich, man sieht die Franzosen der Bresche zueilen; alles kündigt einen Sturm an und die Einwohner richten feurige Gebete zu Gott, daß er nicht fruchtlos ablaufe. Der Himmel erhört ihr Flehen, die Verbündeten *) sind schon in der Stadt. Die von der Bresche zurückgetriebenen Franzosen ziehen sich ordnungslos nach der Citadelle; die gute Sache triumphirt. Die durch die Strenge des Feindes nur zu lange unterdrückte Vaterlandsliebe der treuen Einwohner von St. Sebastian bricht von allen Seiten in Jauchzen aus, man kann seine Freude nicht mehr zurückhalten. Von allen Altanen, aus allen Fenstern wehen Tücher, und man trifft sogleich Anstalten, den Triumph der Verbündeten festlich zu feiern. Schwerlich hätten ihnen größere Beweise von dem Glücke, welches man empfand, sie aufzunehmen, gegeben werden können -- aber diese Barbaren, unempfindlich bei so herzlichen und lebhaften Freudenbezeigungen, beantworten sie mit Flintenschüssen, die gegen dieselben Altane und Fenster gerichtet sind, aus denen ihnen der Beifall entgegenschallt, und eine Menge Einwohner fallen so als Schlachtopfer ihrer Eilfertigkeit, mit der sie die Liebe zu ihrem Vaterlande an den Tag legen. Eine fürchterliche Vorbedeutung von dem, was noch geschehen sollte. -- --

*) Engländer und Portugiesen.

Diesem ersten Zug von Barbarei folgte bald eine Menge Abscheulichkeiten, deren Erinnerung allein Schaudern erregt. Man vergaß sogar die Maßregeln zu treffen, welche die Vorsicht für eine Stadt gebietet, an deren einem Ende der Feind sich noch befindet, um sich Ausschweifungen zu überlassen, die zu beschreiben die Feder weigert. Man plünderte, nothzüchtigte, mordete mit einer beispiellosen Wuth. Bei Einbruch der Nacht, nachdem die Franzosen sich völlig in die Citadelle hineingezogen hatten, brach eine fürchterliche Feuersbrunst aus und machte die Gräuel dieser Auftritte nur noch schrecklicher. Von allen Seiten hörte man das Geschrei mißhandelter Frauen; weder die Kindheit noch das Alter blieb von der viehischen Sinnlichkeit des Soldaten verschont; Weiber wurden in Gegenwart ihrer Männer geschändet, junge Mädchen unter den Augen ihrer Eltern entehrt. Eine unglückliche hatte ihre Mutter niedermetzeln sehen und wurde dann auf dem sterbenden Körper derselben gemißbraucht. Am 1. Septbr. bei Anbruch des Tages hatte man an der Ecke der St. Katharinenstraße ein junges Mädchen jämmerlich schreien hören. Einige Stunden nachher sah man sie mitten unter einem Haufen Soldaten, die ihre viehische Lust an ihr gesättigt hatten. Sie war an eine Tonne gebunden, nackt, ohne Leben, ganz blutig und von einem Bayonette durchstochen -- die Scham verbietet, das Bild zu vollenden; eilen wir, dieses gräßliche Gemälde mit einem Schleier zu bedecken. Die Einbildungskraft könnte nichts so Schauervolles erfinden, das nicht hier von den Verbündeten ausgeübt worden wäre. Sie tauchten ihre Hände in das Blut einer Menge friedlicher Bürger, die sich um das Vaterland verdient gemacht hatten. Don de Goycocchea, ein alter, ehrwürdiger Geistlicher, die Herren Artola, Magra und viele andere Männer, die hier zu nennen zu weit führen würde, fielen unter dem Stahl dieser Mörder. Der unglückliche Don Larragnaga floh, nachdem sein Haus geplündert worden war, seinen jungen Sohn auf die Armen, und fiel ebenfalls unter ihren Streichen. Eine Menge Einwohner wurden mehr oder weniger schwer verwundet. Viele, unter ihnen die Herren Mayora, Arpide und Ventura de Moro, starben noch denselben Tag an den Folgen ihrer Wunden. Die ohne Wunden davon kamen, litten darum nicht weniger. Viele, besonders Geistliche, wurden ihrer Kleider beraubt. In dieser höllischen Nacht sah man eine große Menge Einwohner nackt in den Straßen umherlaufen und erschrocken vor dem bedrohenden Tode fliehen. Der Anblick dieser Unglücklichen machte das Schicksal derer, die sich in die Kloake gestürzt und dort eine einstweilige Zuflucht gefunden hatten, minder abscheulich, und beinahe beneidenswerth. Die Lage dieser letztern war Anfangs fürchterlich und bald unerträglich. Es brach ein Ungewitter aus, der regen ergoß sich in Strömen, und doch ward die Stadt ein Raub der Flammen. Die von der Dunkelheit begünstigten Soldaten überließen sich den abscheulichsten Ausschweifungen, und die Schüsse, die man in dem Innern der Häuser hörte, unterbrachen auf eine schreckbare Weise das Jammergeschrei, welches die Luft erfüllte.

Der 1. September begann endlich diese Trauerscenen zu beleuchten. Die noch vom Schrecken gelähmten und kaum athmenden Einwohner von St. Sebastian, mit ihren Alkaden an der Spitze, stellten sich dem Englischen General vor, und baten ihn, sie aus der Stadt herauszulassen. Dieses ward ihnen gestattet, und sie begaben sich auf die Flucht, ohne irgend etwas zu ihrer Abreise vorbereitet zu haben, und in solcher Niedergeschlagenheit und so vernichtet in ihrem ganzen Wesen, daß ihr Anblick eben so viel Grausen als Mitleiden einflößte. Unter den Unglücklichen, welche die Englische Barbarei auf diese Weise zwang, ihre Hausgötter zu verlassen, sah man reiche Leute, die nicht einmal die nothwendigen Kleider aus der Plünderung hatten retten können, wohlerzogene, zarte Mädchen, die, halbnackt oder im Hemde, die mehrsten verstümmelt oder mißhandelt, die Flucht ergriffen, Menschen aus allen Volks-Klassen endlich, die unerhörte Leiden erduldet hatten.

Mittlerweile brannte die Stadt immer fort, ohne daß den Flammen Einhalt gethan werden konnte. Die Alkaden hatten ausgewirkt, daß die zum Löschen angestellte Arbeitsleute unter Eskorte gesetzt wurden, allein statt daß man sie bei ihren Arbeiten unterstützen sollte, mißhandelte und zwang man sie, die Häuser anzuzeigen, wo noch etwas zu plündern war. Endlich wurden auch sie zur Flucht gezwungen. Immer mehr und mehr griff die Feuersbrunst um sich, und obgleich die Franzosen keinen Flintenschuß aus der Citadelle thaten, und man ihnen keinen Widerstand zu leisten brauchte, traf die Englische Armee doch nicht die mindeste Anstalt, sie zu löschen. Die Soldaten gaben vielmehr beim Anblick der fortwüthenden Flamme eine wilde Freude zu erkennen. Am 1. Septbr. Morgens um drei Uhr sah man sie in der Straße Mayor eine Haus anzünden und beim Schein der Flamme tanzen.

Während ein Theil der Stadt brannte, plünderte man den andern, der von der Feuersbrunst noch nicht angegriffen worden war, und nicht bloß die Truppen, welche die Stadt erstürmt hatten, plünderten, sondern auch Soldaten, die ohne Waffen aus dem eine Stunde weit entfernten Lager von Astigarraga herbeigelaufen kamen. Armeebeamte beluden ihre Maulthiere mit köstlicher Beute und die Fuhrleute der Bagage-Wagen füllten ihre Karren damit an, ohne daß mehrere Tage lang, wo diese schreckliche Unordnung herrschte, die mindeste Anstalt getroffen wurde, ihr Einhalt zu thun, noch die Soldaten im Zaum zu halten, welche die fliehenden Einwohner an den Thoren ihrer letzten Kleider erbarmungslos beraubten. Das scheint hinlänglich zu beweisen, daß die Anführer die Ausschweifungen der Soldaten billigten, noch mehr aber wird es dadurch beweisen, daß die gestohlnen Sachen in der Nachbarschaft und im Hauptquartiere der Armee selbst öffentlich feilgeboten und verkauft wurden.

Als die Alliirten nun glaubten, es sei nichts mehr zu rauben vorhanden, dachten sie nur noch daran, die Zerstörung der Stadt zu beschleunigen, In der Meinung, der Brand mache nicht Fortschritte genug, bemühten sie sich, ihn mittelst brennbarer Stoffe, die man in der Straße Narica zubereiten sah, und womit lange Patronen angefüllt wurden, noch mehr zu verbreiten. Dieses in die Häuser geworfene Feuerwerk zündete sie mit unglaublicher Schnelligkeit an und verlieh den Flammen eine ungeheure Thätigkeit. Mehrere Einwohner, die in der Stadt zurückgeblieben waren, um die Rettung ihrer Häuser zu versuchen, nachdem sie bereits all ihre Geräthe verloren hatten, gaben Anblick dieses Schauspiels von Erstaunen und Furcht ergriffen, alle Hoffnung auf, und verließen nun auch die Stadt.

So ging St. Sebastian zu Grunde. Von sechshundert Häusern, welche die Stadt zählte, sind nur noch sechs und dreißig übrig, alle andere wurden ein Raub der Flammen. Die mehrsten verbrannten Häuser waren drei Stock hoch, viele sehr prachtvoll, und der Bau aller hatte viel Geld gekostet. Das Rathhaus war prächtig, der neue Markt sehr schön; jetzt kann man sie nicht ohne Grauen ansehen, eben so wenig, wie den übrigen Theil der Stadt. Ruinen, Trümmer, herabfallende Altane, einstürzende Mauern, ist alles, was von einer handelnden und volkreichen Stadt übrig blieb, die weit um sich her Leben und Betriebsamkeit verbreitete. Die Zerstörung St. Sebastians läßt funfzehnhundert Familien ohne Zuflucht und Hülfe. Der Verlust der Einwohner übersteigt hundert Millionen Realen, ohne in diese Schätzung den aus der Zerstörung der Papiere und aller Dokumente entstehenden Verlust mit einzuschließen. Die kostbaren Archive der Stadt, die des Konsulats, alle öffentliche Register und Papiere, alle Handelsbücher, alles ist in Asche verwandelt; ein schrecklicher Verlust, dessen Folgen nicht zu berechnen sind!

O allzu unglückliche Stadt, du Ruhm und Ehre Guipuscoa's! Du, der du dem Vaterlande so viele Vertheidiger gegeben, so viele Dienste geleistet hast, hättest du befürchten sollen, von einem solchen schrecklichen Schicksal betroffen zu werden? Mußte dein Untergang der Lohn seyn für deine unverbrüchliche Anhänglichkeit an die gemeinschaftliche Sache, und für alle Leiden, denen deine großmüthige Vaterlandsliebe dich fünf Jahre lang ausgesetzt hatte? Der Augenblick, den du mit so viel Vertrauen, als das Ziel deines Unglücks, so sehnsuchtsvoll erwartetest, wurde durch deinen Untergang bezeichnet, und du sahst dich vernichten durch die Hände derer, die deine Ketten zerreißen sollten. Mußten die Alliirten deinen muthigen Widerstand gegen die Befehle ihrer Feinde, deine heroische Aufopferung für die gute Sache und zarte Sorgfalt, mit der du ihre Gefangenen pflegtest, so belohnen? Es scheint, eine so schreiende Ungerechtigkeit, eine so grauenvolle Katastrophe hätten deinen Patriotismus erlöschen müssen, und doch sah man deine großmüthigen Einwohner ihren gemeinsamen Jammer vergessen, um nur an das Glück zu denken, von der feindlichen Unterdrückung befreit zu seyn. Man sah sie unter deinen Trümmern und auf deinen noch rauchenden Ruinen mit Begeisterung die neue Verfassung der Spanischen Monarchie, dieß heilsame Gesetz, das das Vaterland retten soll, laut verkünden, und seine Beobachtung und Vertheidigung beschwören. In der ersten Erzählung ihres Unglücks, die sie dem Herzog von Ciudad-Rodrigo vortrugen, hörte man sie die denkwürdigen Worte sprechen: "Wenn neue Opfer für uns möglich wären, und man sie für nöthig hielt, so würden wir nicht einen Augenblick zögern, sie zu leisten; wir würden selbst, wenn das Heil des Staats es erforderte, die Hoffnung aufgeben, je wieder in unsere Heimath zurückzukehren und unsere Stadt wieder aufgebaut zu sehen."


Quellen und Literatur.[]

  • Minerva. Ein Journal historischen und politischen Inhalts. Für das Jahr 1815. Leipzig, in der Expedition der Minerva.
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