Von Bastille bis Waterloo. Wiki
GAS Amsterdam

Amsterdam.[]


Amsterdam,[1] die Hauptstadt des ehemaligen Hollands, und nach der Vereinigung desselben mit Frankreich nach Paris und Rom die dritte Stadt des französischen Reichs, nun aber die Hauptstadt des Königreichs der Niederlande, am Meerbusen Y, mit mehr als 200,000 Einwohnern.

Neopolem
Neopolem

Zu den schönsten und merkwürdigsten Gebäuden gehören das von Jacob von Kampen erbaute und mit den Bildhauerarbeiten Quellins verzierte, auf 13,659 eingerammelten Mastbäumen gegründete Rathhaus, welches, als Holland zu einem Königreich constituirt wurde, der König zu seinem Pallast einrichten ließ, die Börse, die Admiralität, das ostindische Haus und die berühmten Hospitäler und Arsenäle.

Die Stadt wird durch die Amstel, welche mitten durch sie hinfließt, in die alte und neue Seite getheilt, hat ungefähr drei Meilen im Umkreise, ist auf einem Rost von eichenen Pfählen gebaut und überall von Canälen und Krachten durchschnitten. Gegen die Landseite ist sie mit vielen Bastionen versehen; dennoch wurde sie 1787 von den Preußen, und am 19ten Dec. 1794, in jenem merkwürdigen Winter, von den Franzosen eingenommen. Obgleich Amsterdams Lage zum Seehandel wegen der beschwerlichen Passage durch den Texel nicht sonderlich bequem ist; so gehörte es doch sowohl in Ansehung seines durch die ganze Welt verbreiteten Handels, als auch seiner sonstigen Industrie und seines daraus entsprungenen Reichthums wegen, zu den ersten Städten Europa's.

Neopolem
Neopolem

Der Hauptnahrungszweig der Einwohner bestand und besteht zum Theil noch in der Färberei, Zuckerbäckerei, Wachs- und Leinwandbleiche, und in Verfertigung des Papiers, Segeltuchs, seidener und wollener Waaren. Ferner waren hier starke Niederlagen von Gold, Silber, Edelsteinen, Spezereien u.s.w. aus allen Welttheilen. Außerdem brachte der Wallfischfang, der ostindische, besonders der Gewürzhandel und der Heringsfang, ihnen, große Vortheile.

Amsterdam erhob sich allmählich aus einem Fischerdorfe zu einer Stadt. Der Druck der Spanier zog im 16ten Jahrhundert nach und nach viele Kaufleute des reichen Antwerpens und anderer flandrischen Handelsstädte dahin. Den spanischen Niederlanden wurden durch den westphälischen Frieden die Schelde gesperrt und bald breitete nun Amsterdam seine Geschäfte nach allen Gegenden der Erde aus; es wurde das allgemeine Magazin von den Producten aller Nationen und darf im 17ten und zu Anfang des 18ten Jahrhunderts als die erste Handelsstadt der ganzen Erde betrachtet werden. Inzwischen aber trat London als Nebenbuhlerin auf, und ward besonders wegen seiner wichtigen Seemacht gefährlich. Der Krieg mit den Engländern 1780 schadete dem Vermögen und Handel Amsterdams sehr viel; es entstanden Unordnungen in der großen (1609 gestifteten) Bank, welche den Credit im Auslande schwächten; und Amsterdam mußte schon vor dem Eindringen der Franzosen London den Vorrang einräumen. Seitdem versiegten die Quellen des Handels und Wohlstandes immer mehr. Die Engländer schadeten so viel sie konnten, die Colonien waren verloren, Deutschland zog seine Bedürfnisse über Hamburg und Altona und so trat jener Stillstand in allem Verkehr und Erwerb ein, der vor einem Allgemeinen Frieden in Europa nicht aufhören wird.


Von Reisende.[]

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Georg Friedrich Rebmann.[]

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[1796]
GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Zum erstenmal sah ich heute auf dem hiesigen Revolutionsplaz, wo der schönste Freiheitsbaum gepflanzt ist; den ich noch gesehen habe, die fränkische Parade, nachdem ich bei der Munizipalität einige Privatgeschäfte in Ordnung gebracht hatte. Eine Menge Volks war hier versammelt, und es schien, als ob das gute Betragen der neuen Gäste selbst diejenigen versöhnt hätte, welche eben keine Freude darüber haben, militairische Gewalt in Amsterdam zu wissen. Eben war die Nachricht von einem glänzenden Sieg der italienischen Armee eingegangen, und wurde den Soldaten, ohne alles Geräusch, wie man wohl in Deutschland bei jedem kleinen Vortheil, während dieses Kriegs zu veranstalten pflegte, mitgetheilt. Leider! bemerkte ich, wenige ausgenommen, keine Spur von Enthusiasm, oder Freude darüber. Es mag sein, daß es bei den übrigen Armeen ein anderer Fall ist, oder daß die Franken der Siege schon zu gewohnt sind -- sonst müste ich gestehen, daß die Beschreibungen unserer Journale von der heissen Liebe der Truppen zur Republik auf diesen Theil der Nordarmee nicht passen. --

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Ich ging von hier aus auf ein Koffeehaus, und traf gerade das bekannteste und berüchtigste Aristokraten-Nest in ganz Amsterdam. Sobald man hörte, daß ich ein Deutsche sei, und von der deutschen Gränze komme, versammelte sich alles um mich her, um die längst erwarteten günstigen Nachrichten von mir zu hören, daß der König von Preussen und der Herzog von Braunschweig im Anmarsch seien, um die alten Ketten wieder aufs neue zu bevestigen. Einen Augenblik lang erlaubte ich mir den Scherz, die Herren in ihrem Irrthum zu lassen, dann aber brach ich los, ohne mir ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So etwas hatten die Herrn in Israel noch nicht gefunden, einen demokratischen Deutschen. Sie waren meistens meine Landsleute, und daher konnt ich mich hier nach Herzenslust expektoriren. Endlich als ich ihnen meinen Wunsch und meine Hofnung zu erkennen gab, Pitt nächstens gehangen zu sehen, wurde es ihnen zu arg. Gern hätten sie mir ihren Grimm laut zu erkennen gegeben, wenn es ihnen nur nicht, wie allen Aristokraten, an Muth gefehlt hätte. -- Zur Abwechslung ging ich nun auch in ein sogenanntes terroristisches Koffeehaus, wo man mich mit wilden Blikken betrachtete, und mich vermuthlich für einen Spion Sr. Majestät, des Königs von Preussen ansah. Uebrigens hatten die Leute hier, wenn sie auch wirklich Jakobiner waren, nichts mit den fränkischen Jakobinern gemein. Sie hatten alle ihre lange Pfeifen im Munde, die den Menschen in Holland das erste Bedürfnis zu sein scheinen, beräucherten sich unter einander, tranken Genever, und riefen von Zeit zu Zeit, wenn sie mit einander anstiessen: Gelykheid, Vryheid, Broderschap. Das lautete aber so breit, daß mir ganz schlimm dabei wurde.

Als ich diesen revolutionairen Tobaks-Klubb verlies, sah ich eine kleine Volksgruppe, welche dadurch entstanden war, daß einige fränkische Soldaten ein Mädchen aus einem sogenannten Speelhuys entführt hatten. Der ehrliche Maquerau (auch ein Deutscher) der das arme Mädchen unter dem Vorwand, ihr einen Dienst zu verschaffen, in dies liederliche Haus gelokt hatte, suchte den Pöbel gegen die Thäter zu erbittern, wurde aber ausgelacht. Würklich sollte die Polizei, wenn sie auch solche Häuser wegen der vielen Matrosen dulden mus, deshalb wenigstens bessere Anstalten treffen, denn manches Mädchen soll hier fast mit Gewalt in Speelhuyser gelokt werden, und, sobald sie kein Geld hat, kein Erlösung finden, da diese schöne Revenue verpachtet ist, und vermuthlich einen Theil der Einkunft des Prinzen von Oranien ausmacht. Auch soll leider! noch die Seelenverkäuferei hier getrieben und (was sehr schlimm wäre) von der Regierung geduldet werden, um dadurch Matrosen zu bekommen, an denen jezt so grosser Mangel ist.

So gerne ich hier das holländische Nationalschauspiel besucht hätte; so konnte ich doch meines Wunsches nicht theilhaftig werden, da die Gesellschaft jezt in Rotterdam ist. Ausser diesem sind noch zwei französische Bühnen, und eine teutsche jüdische Gesellschaft hier, die recht artige Operetten geben soll. Eine zweite teutsche Gesellschaft werde ich im Haag zu sehen bekommen.

Nachdem ich noch einige Besuche abgestattet und mich dabei gewaltig gelangweilt hatte, genos ich noch der schönen Aussicht am Hafen, wo man links das Y, und rechts einen Theil des Zuyder-Meers vor sich hat. Die Stadt selbst, so hübsch sie übrigens ist, hat für mich keine Reise. Alle Strassen sehen sich, so wie die Häuser und die Menschen, so ähnlich, wie ein Ei dem andern. Da ist nichts, als Kanäle und Brükken und Alleen, die sich in lauter rechten Winkeln durchschneiden. Man hat, eben dieser Aehnlichkeit wegen, die gröste Mühe, sich zurecht zu finden. Fragen Sie nach einer Strasse, so dringen sich Ihnen gleich zehn Juden oder anderes dergleichen Gesindel zu Wegweisern auf, laufen neben Ihnen her, suchen Ihnen etwas zu stehlen, und fordern am Ende einen Gulden oder ein paar Gulden, die sie ohne alle Weigerung bezahlen müssen, wenn sie nicht vorher akkordirt haben. Ueberhaupt habe ich nirgends einen schmuzzigern, häßlichern, aufdringendern, gewinnsüchtigern Pöbel gefunden, als hier in Amsterdam. Kaum kann man sich dessen erwehren. Dreissig Juden schreien einem immer die Ohren voll, bis man ihnen eine Kleinigkeit abkauft, indes die andern sich in den Handel mischen, und dabei die Taschen des Käufers leeren; zehn bis 12 Jungen mit Bürsten puzzen einem fast mit Gewalt die Schuhe, und alles hält immer die Hände auf. Und wenn Sie nur nach dem Wetter fragen, so antwortet ihnen kein Mensch, bis sie ihm wenigstens einen Deut bezahlt haben. Wucher und nichts als Wucher ist das Gewerbe dieser Stadt, vom Millionair bis zum Schuhpuzzer herab. So ekkicht, als die Stadt ist, so ekkicht sind auch die Menschen. Ohne Geld thun sie den Mund nicht auf, und ausser der Kanaille, die Sie inkommodirt, sehen Sie nicht, als Kerls mit Stuzperuquen, oder Kutscher, die, statt der Räder, auf Schleifen geschleppt werden, wobei eine Art von Fuhrmann auch mit einer Peruque, pflegmatisch neben hertrabt, oder Karren, mit grossen, ebenfals pflegmatischen Hunden bespannt, und einige Weibsbilder, die Obst und Gemüse mit einem ewig monotonen, widerlichen Gekreisch ausschreien, oder öffentliche Dirnen, die mit Matrosen umherziehen. Es thut einem ordenlich wohl, wenn man unter diesem fühllosen, diebischen und liederlichen Gesindel einmal einen hübschen Soldaten munter durch die Strassen gehen sieht, und ihn statt des ewigen Gebrülles und Gekreisches ein Freiheitsliedchen pfeifen oder singen hört.

Das hiesige Rathhaus ist wirklich ein grosses und schönes Gebäude, aber der Geschmak, in welchem es gebauet ist, will mir doch nicht gefallen. Das Börsengebäude, über dessen Eingang recht schiklich der Gott der Diebe in Stein gehauen, präsidirt, ist bei weitem prächtiger, grösser und bequemer eingerichtet, als das Hamburger, der Plaz ist wenigstens viermal so gros, als dort, in einem vierekkichten Hofe, der an allen Seiten mit Arkaden umgeben ist. Man geniest hier die Bequemlichkeit, jeden Kaufmann, den man sucht, augenbliklich finden zu können, da alle Pfeiler numerirt sind, und jeder Kaufmann seinen bestimmten Plaz hat. Vor ihrem Eingange liegen eine Menge Boutiquen, und eine ungeheure Anzahl Juden, eine Avantgarde, deren Belagerung man ordentlich nach den Regeln abschlagen mus, ehe man ins Innere kommt. -- Hier kömmt einem denn gleich Jedermann mit Klagen über die jezzige Störung aller Geschäfte entgegen, aber keiner will etwas thun, um dem Uebel aufzuhelfen. Zwar haben die Holländer seit der Revolution beinahe 60 Schiffe neu gebauet, und ein Theil der Flotte ist auch bereits ausgelaufen, aber -- wer uns Ruyter und Tromp, oder vielmehr, wer uns (da wirklich ein geschikter Admiral da sein soll) Matrosen und Muth gäbe! Die Tapferkeit der Holländer zur See mag Ihnen folgende Anekdote karakterisiren, die ich aus dem Munde eines französischen Marine-Offiziers habe. Dieser lief von Vlissingen aus, und begegnete mit seiner Brigge von 16 Kanonen zwei Holländischen Fregatten, deren jede 36 Kanonen führte. Er gab ihnen ein Zeichen, sich mit ihm zu vereinigen, in welchem Fall sie 12 bis 16 englische Prisen gemacht haben würden. Die Fregatten aber verstunden das Zeichen nicht, glaubten, das fremde Schiff wäre ein Englisches, und spannten alle Segel auf, um dem Feinde zu entkommen. -- So segelte neulich ein englisches Linienschiff unter einige Duzzend Fregatten, schos vier davon zusammen, und gieng wieder seiner Wege. -- Für die holländische Justiz ist leider! noch eben so wenig geschehen, als für die Marine. Man kann im Gegentheil sagen, daß sie noch abscheulicher ist, als ehedem, wo diese Harpye bekannt genug war. Unglüklicher Weise haben sich eine Menge von Advokaten in die Revolution geworfen. Daraus mus hauptsächlich bei der Konstitution Bedacht genommen werden. Die verschiedenen Kommittés erschweren jezt noch jedes Geschäft unendlich. Eine Menge von Leuten ohne Patriotism, ohne Talente, ohne Kenntnisse haben sich provisorisch der Verwaltung bemächtigt, und wehe dem, der etwas zu suchen hat! Die Herren trinken, statt zu arbeiten, und weisen einen von Hinz zu Kunz, und von Kunze zu Hinz! -- Bei den halben Maasregeln die immer genommen werden, mus alles schlecht gehen. Doch von allen diesen Dingen werde ich Gelegenheit genug haben, noch mehr zu reden. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen einen Traum mittheile, der wenigstens eben so viel werth ist, als ein Stük aus der Offenbarung Johannis, und dessen ich, um mich der Sprache der Propheten zu bedienen, in Amsterdam gewürdigt wurde.

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Dr. Johann Friedrich Droysen.[]

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[1801]

Amsterdam, den 25sten Jun. 1801..

GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Bey Nieuvesluis, einer kleinen Festung in der großen Ebene, verließen wir den bis jetzt befahrenen Canal, die Vecht genannt und fuhren die Amstel hinab, die der großen vor uns gelegenen Stadt den Nahmen gibt. Amsterdam nimmt einen ungeheuren Raum am Horizonte ein, und hat durch die ungeheure Menge von Windmühlen und die vielen hohen Schorsteine, die in der Ferne so vielen kleinen Thürmen gleichen, ein ganz eigenthümliches Aeußeres, wir  fuhren unter der schönen Amstelbrücke durch vor die Hausthür unsers Wirthshauses, das Rondeel.

Das Eigenthümliche in der Bauart der Stadt überrascht in der That; in der Mitte jeder Straße ein breiter Canal voll von Masten, Schiffen und Bothen aller Art; längs diesem aufgemauerten Canale laufen die schön gepflasterten, breiten Straßen, an beyden Seiten mit Bäumen bepflanzt hin. Die großen, hohen Giebelhäuser, untermischt mit Gebäuden von schönen Geschmacke; die vielen, vielen Brücken, die man fast auf jeder Straße sieht, das bunte Gewimmel der Kutschen, Kabriolets, Karren, Schleifen, Träger und Menschen aller Art; alles das zusammen macht einen so ganz eigenthümlichen Eindruck, wie ihn wenig Städte nur gewähren können.

Unter den schönsten Gassen zeichnen sich die Herrengracht, die Prinzengracht und die Kaisersgracht durch ihre schönen Gebäude und regelmäßig gelegenen schönen Brücken aus *).

*) Man unterscheidet Straße und Gracht, diese letztern haben Canäle.

Der Revolutionsplatz, ehemahls der Damm genannt -- doch haben hier so wenig, wie in Frankreich, die neuen Nahmen bis jetzt die alten verdrängen können -- ist einer der schönsten Plätze in Amsterdam, das überhaupt arm an freyen Plätzen ist. Das prachtvoll gebauete Rathhaus, die neue Kirche und andere schöne Gebäude zieren denselben, und in der Mitte ist der ungeheure Freyheitsbaum aufgerichtet.

Eine schöne Promenade längs dem Quay am Hafen hin, zeigte und Amsterdam in seiner schönen Größe. Hier nahm auch das Gewimmel der Menschen, je näher wir dem Hafen kamen, immer mehr zu; Karossen und Kabriolets jagten leicht neben dem langsamen schwer beladenen Wagen dahin, ein Schleen, (so nennt man in Amsterdam eine eigene Art von wohlfeilen Miethkutschen, wo der Kutschenkasten auf eine Schleife gebunden ist, die von einem Pferde gezogen wird) folgte langsam im Gedränge der Menschenmenge von allen Ständen und Nationen den Lastschleifen, die vorn eine Tonne mit Wasser führen, die bey jedem Stoße Wasser ausfließen läßt, um die Reibung zu verhindern; tragbare Boutiken und Obstweiber mit großen Körben, wanden sich durch das Gedränge auf den Brücken durch, wo bettelnde Musikanten, und singende Krüppel den Lärm vergrößerten.

GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Der Hafen mit seinem Wald von Masten war leider mehr als zu brillant in dieser Jahrszeit; wir nahmen ein vorher wohl bedungenes Both und ließen uns unter den Colossen von abgetakelten Ostindienfahrern, leeren müssigen Kauffahrdeyfahrern, neuen Kriegsschiffen und Rheinfahrern umher rudern, fuhren bey dem prächtigen Admiralitäts-Gebäude, bey der Kweeckschoole van der Zevaart vorbey und landeten wieder an dem neu gebaueten Theile der Stadt, der so genannten Plantage, wo eine Menge von Gartenhäusern, Stileen und niedlichen Wohnungen unter den Gärten versteckt liegen; eine der schönsten Promenaden von Amsterdam.

GAS Amsterdam
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Das Stadthaus in Amsterdam ist unstreitig das schönste Gebäude der Stadt; es liegt frey auf dem Revolutionsplatze und zeichnet sich durch seine Größe und Pracht aus. Der Freyheitsbaum vor demselben ist ein ungeheurer Mastbaum mit Lorbeer von Blech umwunden, mit den Nationalfarben, mit Trophäen und drey Schildern geziert; auf dem ersten Schilde küssen sich zwey Figuren über einem Altare, auf dem ein Herz lodert und der die Inschrift trägt: een Hart vor't Vaderland, mit der Umschrift Broederschap; auf dem zweyten reichen sich Freyheit und Gleichheit, an ihren Attributen kennbar, die Hand über einem Altare mit einem Buche, de Regte van den Menschen; und auf dem dritten führt ein Held die Freyheit an der Hand, mit der Inschrift: door fransche Hulp. 1795. Oben auf dem Wipfel steht der Hut mit dem Nationalbande. -- Er kostete 6000 Gulden.

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Dem Gemeindehause links gegenüber liegt die neue Kirche, die besonders durch das Grabmahl des Admiral Ruyters merkwürdig ist, er blieb 1607 in der Schlacht gegen die Franzosen, hier liegt er in Marmor in voller Rüstung auf einem Bette von Schiffsmatratzen, Tritonen und Meergötter verkünden seinen Ruhm. Ferner findet man hier das Monument J. B. Bentincks, der 1781 bey Doggersbank als Admiral starb. Joh. van Galen, der 1653 in der Schlacht bey Livorno gegen die Engländer blieb, und des Dichters Vondel, der 1609 starb, und sehr schöne Glasmahlerey auf den Fenstern. –

Die große Börse sowohl als die Getreidebörse sind ein paar sehr schöne Gebäude, mit freyen Höfen und Colonnaden, an den Säulen sind die Nahmen der Völker und der verschiedenen Handlungszweige angeschlagen, um desto leichter seinen Mann finden zu können.

Die Alte Kirche (Oude Kerk) ist vorzüglich ihrer Glasmahlerey wegen merkwürdig, sie übertrifft alle mir bekannte Kunstwerke der Art, die vorzüglichsten Stücke sind: die Geburt Christi, die Verkündigung der Maria und der Tod Marcus vom Jahr 1555. Es ist eine so richtige ausdrucksvolle Zeichnung in den Figuren, eine so wohl gewählte Zusammenstellung der Gruppen, und vorzüglich ein so lebhaftes Colorit, daß man diese verloren gegangene Kunst wirklich recht sehr bedauern muß. Viel gewinnen diese Gemählde dadurch, daß man durch mehr oder minder Durchsichtigkeit großen Effect hervorbringen konnte; so erinnere ich mich auf einem dieser Gemählde ein Licht zur höchsten Täuschung mit seiner Flamme dargestellt gesehen zu haben. -- Hier ist auch das Monument des durch seine Fahrt nach Nova-Zembla berühmten Admirals Heemskerk, der 1607 bey Gibraltar gegen die Spanier blieb.

Die übrigen Kirchen und öffentlichen Gebäude, als die Süderkirche mit ihrer schönen Kuppel, die Portugiesische Juden-Synagoge, milde Stiftungshäuser, der Hof und das Haus der Ostindischen Gesellschaft, wo jetzt fast gar kein Verkehr war, und andere merkwürdige Gebäude beschreibe ich Ihnen nicht, sondern gehe jetzt zu den gelehrten Instituten in Amsterdam über; ich weiß dieß interessirt Sie mehr.

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GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Die Häuser in Amsterdam sind, wie in den meisten Handelsstädten, Giebelhäuser, die sehr schmal, aber von großer Tiefe sind; dieß gibt ihnen eine eigene, nicht bequeme Bauart; man muß die Mitte des Hauses einziehen, und ein kleines Höfchen bilden, um den Zimmern Licht verschaffen zu können. Dieß gibt ferner die Unbequemlichkeit äußerst schmaler Dielen und Treppen. Die Wände sind gewöhnlich nur von Bretern, so daß man im Nebenzimmer jedes Geräusch hört. Die Dielen sind nicht nur auf dem Boden, sondern auch an den Wänden mit Marmor bey den Reichen, bey den Armen mit Klinkern von Fayence belegt; ich habe Dielen gesehen, deren Kosten auf 10,000 Fl. angegeben wurden. Die Böden sind gewöhnlich mit den kostbarsten Decken belegt, und bey Armen wenigstens mit Strohmatten. Oefen hat man wenig, aber sehr kostbare Kamine; der Platz am Kamin gehört dem Manne, und die Frau bedient sich eines so genannten Stov-, Wärmetopfes. Die Fenster in den Häusern sind ungeheuer groß; die Häuser gleichen Treibbeeten, oder Laternen. Silbergeräthe, feine Leinewand und Porzellan sind der besonders geschätzte Reichthum eines Hauses, wozu noch die Liebhaberey an Gemählden, Kupferstichen u. d. gl. kommt.

Die Kleidung der Männer und Frauen ist weniger modern als in Deutschland, man findet sie hier noch um mehrere Jahrzehende zurück, den Mann in seinem damastenen Schlafrock, die Frau mit ihrer kleinen Haube, die Tochter mit einem großen schwarzen Tafthute; nur die galante Welt macht hiervon eine Ausnahme. –

Zu den Vergnügungen der Amsterdammer gehöret ins besondere das Besuchen der Kaffehhäuser und der Collegien; die Collegien sind bestimmte Versammlungszimmer, wo Männer von gleichen Ständen und Glücksgütern sich versammeln, Zeitungen lesen, bey einer Pfeife Taback plaudern, und selten spielen; diese Collegien werden Morgens und Abends unausgesetzt besucht; wer nicht Mitglied eines solchen Collegiums ist, muß sich auf den Kaffehhäusern unter einer fürchterlichen Dampfwolke bey braungefärbtem Kaffehwasser behelfen; diese Kaffehhäuser kommen überhaupt den Deutschen und Französischen nicht gleich.

GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Amsterdam hat ein Nationaltheater, welches sehr schön eingerichtet und reich dekoriret auch gut besetzt seyn soll, es ist aber nur des Winters geöffnet. Das Französische Theater ist mittelmäßig, wird nur durch eine Dem. Labbé gehoben; und das Deutsche ist äußerst elend. Aber freylich ist es nicht für den Holländer, Schauspiele zu besuchen, er lebt lieber in seinen Collegien und zu Hause in seinen Liebhabereyen, die bald Conchylien, bald Gemählde, bald Blumen oder d. gl. sind, oder Sommers auf seinen Außenplätzen. –

An Sonn- und Festtagen zieht der Amsterdammer vor das Thor in die Menge von Kaffehhäusern, Bier- und Weinschenken, die nach den verschiedenen Ständen und ihren Bedürfnissen eingerichtet sind; der Reichere fährt auf seine Campagne, oder seinen Garten, oder als Mitglied einer geschlossenen Gesellschaft vors Thor in einen Garten, wo er sich mit Kegelschieben, Kolbenspiel, oder mit seiner Pfeife amusiret oder ennujiret. Der Matador reist auf sein weit entferntes Landgut und -- raucht seine Pfeife in Gesellschaft mehrerer Freunde, und amusirt sich, wie er kann.

Die fremden Schiffer besuchen Abends mit ihren Entretenüs die Bälle, die hin und wieder an gefärbten Laternen zu erkennen sind, im Peil, im Rondeel u. s. w., wohin die Mama mit ihren Töchtern aus den so genannten stillen Häusern kommt, und wo noch Decence genug herrscht; hier kommen auch andere Familie hin, um dem Tanze zu zusehen.

Die öffentlichen Bäder in der Plantage sind seit drey Jahren der Sammelplatz der elegantern Welt, wo an einer Menge kleiner Tische, in einem großen Saale, Thee, Kaffeh und Wein genossen wird, wo alles sehr still hergeht, und man den Ausländer bald an der lautern Stimme und der grössern Lebhaftigkeit erkennt.

Vor dem Utrechter Thore wird hin und wieder in einer großen Allee ein so genanntes Harddraven, Wettrennen im Trotte angestellt. Junge, leichte Knaben jagen mit besonders dazu dressirten Pferden in die Wette, ohne im Galopp zu fallen, die Pferde greifen mit dem Hinterfuße weit über den Vorderfuß hinaus, welches bey guten Pferden 6 Rheinl. Fuß betragen soll, und dieß geht mit so rasender Geschwindigkeit, daß ein Pferd im Galopp ihnen selten gleich kommt. Dieß Nationalschauspiel wird von den Holländern stark besucht. Ein anderes eigenthümliches Vergnügen ist das Gänzegreifen, wo eine Gans mit den Füssen hoch an einen Strick gehängt wird, der Kopf ist mit Oehl beschmiert und muß von dem unten Durchjagenden abgerissen werden. -- Bälle sind seltenere Vergnügungen, so wie auch Kartenspiel; der Holländer ist lieber Zuschauer, als handelnde Person in allen Vergnügungen. –

Das angenehmste Schauspiel war mir das Gewimmel der Menschen bey solchen Gelegenheiten und Sonntags auf den Promenaden vor der Stadt; bunter und mannigfacher findet man es vielleicht selten. Längs dem schön gepflasterten Wege, auf welchem Carossen und Cabriolets hin und her jagen, laufen Alleen neben den Gartenhäusern und Pavillons, die mit Menschen gefüllt sind, auf ihnen treibt sich jung und alt, arm und reich, schön und häßlich, der Jude neben dem Christen, der Türke und Engländer, die leicht gekleidete Französinn mit bis zur Wade aufgehobener langen Schleppe, neben der steifen Nordholländerinn und Friesinn mit ihrer hohen Mütze und im Dreyeck gebundenen Tuche; die ehrbare Amsterdammer Bürgerfrau in ihrem Kleinen Häubchen, neben der Bäuerinn mit ihrem Chinesischen Sonnenhute, auf und ab. -- Kurz das Gewimmel ist so bunt und mannigfach, als man wünschen kann.

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GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Ich führe Sie endlich, mein Bester, noch ein Mahl zum Abschiede durch diese große Stadt, werfen Sie noch ein Mahl Ihren Blick auf die lebhaften Gassen und Kanäle, sehen Sie diese Menge von Lastschiffen aller Art, einige mit Trinkwasser, andere mit Torf, andere mit Dünger gefüllt, alles dieß sind Handlungszweige; der Dünger wird größtentheils nach Brabant verkauft, der Torf aus den südlichen Provinzen, und das Wasser aus den nahe gelegenen Gegenden gehohlt, denn die Cisternen in den Häusern, die das Regenwasser sammeln, genügen nicht, und das andere Wasser ist nicht zu genießen. Hier sitzt in einem kleinen Kahne eine ärmliche Familie und fischt aus dem Kanale die Lumpen und Späne; dort fährt eine vergoldete Gondel mit einer geputzten Gesellschaft dahin. Schiffe wechseln mit Schuyten, Rheinfahrern und flachen Fahrzeugen ab. Auf der Gasse ist das Gewimmel nicht minder lebhaft. Wagen, Karren und Schleifen, Träger, Karrenschieber und Obstweiber, alles unter einander durch, singende und leyernde Bettler, die Waysenkinder in ihrer halb blauen, halb weißen Kleidung (denen zur Maske Tag und Nacht, nur die Sterne fehlen,), geben dem Ganzen das buntscheckigste Ansehen. -- Dazu das ewige Geschrey der Schiffer auf den Kanälen, der Obstweiber, kleinen Krämer und Schuhputzer auf den Gassen, und das beynahe ununterbrochene Getöne der Carillons oder Glockenspiele, die Sie auf allen Thürmen beynahe antreffen. In der Judenstadt, denn auch hier noch leben diese Menschen, obgleich sie der Revolution jetzt die Gleichheit der Rechte mit den andern Einwohnern verdanken, getrennt, ward dieß Gewimmel vermehrt, sie arbeiten hier in allen Handwerken, aber doch ist besonders der Handel ihr Nahrungszweig, -- kleine Diebereyen ist man hier am meisten so wie der Betteley ausgesetzt. -- Alles das zusammen in einem Augenblicke lebhaft dargestellt, gibt Ihnen eine Idee von Amsterdam.

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Den 25sten, Morgens, fuhren wir mit der Trekschyte von Amsterdam nach Haarlem 1 ½ Meilen.


Karl Gottlieb Horstig.[]

[4]

[1803]

Amsterdam.

Mit Sonnenuntergange begrüssen wir nach einem wohlthätigen Verweilen in Harlem, die dritte grosse Stadt, die uns auf der langen Reise zu drey verschiedenen Nationen begegnet. Ein bequemer Wagen, der uns beym Aussteigen aus dem Harlemer Schiffe erwartet, führt uns durch die langen breiten und engen Gassen von Amsterdam bis zu der Kaysersgracht, die mit der Heeren- und Prinzengracht den vorzüglichsten Theil der Stadt in parallelen Bogen einfasst. Man kann es den Amsterdamer Einwohnern wohl nicht verdenken, wenn sie, auch nachdem sie manche andre feine Städte gesehen haben (welches nicht immer der Fall seyn soll), beym Wiedererblicken ihrer Vaterstadt mit stiller Selbstgenügsamkeit ausrufen: Amsterdam is toch eene moje Stadt. Für den Maler, der städtische Prospecte liebt, könnte nicht leicht genügender gesorgt werden, als wenn man ihn nach Amsterdam versetzte. Mit Leichtigkeit könnte der geschickte Künstler sich ein paar hundert Gesichtspunkte wählen, die an Reichthum und Abwechslung der Ansicht von Gebäuden, an schönen Gruppirungen der Häuser und Thürme, an reizender Perspective der langen Vertiefungen, die alle fernen Gegenstände in einer malerischen Anordnung vors Auge bringen, nichts mehr zu wünschen übrig lassen. Eine solche Mannigfaltigkeit in der Bauart, eine solche Verschiedenheit in der Lage und Stellung der Gebäude, die auf den vielen hin- und herstreifenden Landzungen liegen, ein solcher Reichthum in der Ausstaffirung durch Menschengewühl, Schiffe, Zugbrükken, Buden u. s. w. und zu dem allen die Liebliche Verschönerung der Strassen durch doppelte Reihen von Bäumen, und die reizende Verdoppelung der Ansichten durch den Wasserspiegel, die sich durch alle Theile der Stadt verbreitet -- dieses alles zusammen bietet dem Auge, besonders bey der schönen Sonnenbeleuchtung, die wir in diesen anmuthigen Frühlingstagen erhalten, eine so genugthuende Unterhaltung dar, dass man Wochen und Monate lang in der Stadt verweilen könnte, ohne an die Aussenseite von Amsterdam zu denken, die nichts als eine unabsehbare Land- und Wasserfläche darbieten.

GAS Amsterdam
GAS Amsterdam

Wir haben Amsterdam von der Platform des schönen Gebäudes gesehen, welches die erste und vorzüglichste aller vaterländischen Gesellschaften: felix meritis, zur Aufmunterung der nützlichen Künste und Wissenschaften errichtet hat. Es war das reichste Panorama, minder auffallend, als der Anblick von London oder Lyon, aber darum nicht minder werth, von der Hand eines geübten Künstlers aufgenommen zu werden. Mit einem Thurme, den Paris und London nicht höher aufzuweisen haben, ragt vor allen die grosse Kirche hervor. Nächst ihr das grösste und schönste Gebäude der Stadt, das Stadthaus, dessen innere und äussere Architektur dem Baumeister seiner Zeit zu grosser Ehre gereicht. Die neue und alte Kirche, die grosse runde Kuppel der neuen lutherischen Kirche, die Börse, die vielen Thürme am Wasser, die Thore und Windmühlen der Stadt, und hinter dem allen der weite Hafen voll Schiffe, die einen Wald von Masten bilden -- dieses sind die vorzüglichsten optischen Gegenstände, die man von dem hohen Standpunkte aus erblickt. Aber alles beschränkt sich auch auf diesen Raum. Von den Thoren der Stadt an erblickt man fern hin, die Seite von Harlem ausgenommen, wo noch Bäume und Dörfer einige Abwechslung hervorbringen, weiter nichts, als eine unendliche Fläche. Dieses also hier ist der berühmte Hauptsitz des emsigen Volks der Bataver. Leben und Betriebsamkeit herrscht auf diesem Mittelpunkte der flachen Einöde, die augenblicklich von den Wellen verschlungen werden könnte, wenn die eindringende Flut nur einige Fuss höher steigen wollte. Hier hat der Fleiss, der den Handlungsgeist beseelt, Millionen zusammengehäuft; und der Mann im abgenutzten Ueberrocke, der dir auf der Strasse begegnet, ist vielleicht Besitzer von einem jährlichen Einkommen, welches mancher Teutsche Fürst sich wünschen möchte. Dieser Reichthum der Nation, von dem ich ungewiss bin, ob er durch die neuern Umwälzungen der westlichen Staaten in Europa einen solchen Verlust erlitten habe, dass man ihn, mit dem Ganzen verglichen, nur beträchtlich nennen dürfte, hat einen Wohlstand erzeugt, und eine Liebe zum Genuss aller Lebensbequemlichkeiten, die man anderwärts nicht wieder antreffen wird. Eine Reinlichkeit, die den Fremden, der nicht daran gewöhnt war, oft zum Gespötte dienen musste, die aber den beyden wasserreichen Nationen in Europa, den Engländern und Holländern ganz zur Natur geworden ist, erhöht den Glanz des äussern Wohlstandes, der sich hier in allen guten Häusern offenbart. Ich kenne zu wenig Holländische Familien, um von allen sagen zu können, dass sie bey ihrer mit der Muttermilch eingesogenen Vorliebe für eine gewisse Anhänglichkeit an die Sitte der vaterländischen Vorzeit, der es allein vielleicht noch beyzumessen ist, dass die Holländer ihre Todten in die Kirche begraben, und einen merklichen Mangel an Sinn für das hohe Geistige in der Kunst und den lebenverschönernden Gebrauch des eignen Selbstforschens in mehrern Theilen der Wissenschaften blicken lassen -- dennoch so vielen Fleiss, so viele Beharrlichkeit im ersten Studium, eine so musterhafte Gründlichkeit in der alten Literatur, und vorzüglich eine beyspiellose Gutherzigkeit besitzen, die sie der Bildung zur Humanität vor allen andern Nationen fähig machen könnte, wenn Zartheit des Gefühls den schlummernden göttlichen Funken nur zur Flamme anfachen wollte. Zur Vertheidigung ihrer Ehre, die sie von den benachbarten Völkern oft mit der unschonendsten Bitterkeit angegriffen sehen, brauchen die Holländer nur die Geschichte für sich sprechen zu lassen. Sie machten längst eine freye, selbstständige Nation aus, -- mochte übrigens ihre bürgerliche Verfassung seyn, welche sie wollte, -- als andre Nationen noch lange nicht aus den Zeiten der Minderjährigkeit herausgetreten waren. Durch den Geist ihrer Betriebsamkeit machten sie sich andre Nationen zinsbar, und durch ihren weitumgreifenden Handel zu den Verlegern der Reichthümer und Schätze aller Erdtheile. Komm und siehe, Fremdling, diese schwimmenden Inseln am Ufer der See, diese aus dem Wasser hervortauchenden schmalen Landzungen, die nicht einem Halme Getreide Raum geben, sieh die Bewohner dieser Ufer auf ihren Kanälen herum schiffen, und mitten auf diesen unsichern Strand eine solche Menge von Städten erbauen, wie man sie anderwärts auf einer zehnfach weitern Entfernung so gross und schön nicht wiederfinden kann -- komm und sage dann, ob die Bataver von der Zeit an, dass ihre ersten Fischer sich hier ansiedelten, mehr thun und leisten konnten, als sie wirklich gethan haben.

Seit acht Tagen erlaubt uns das anmuthige Wetter, die Stadt nach Gefallen von aussen und innen zu besehen. Die Promenade an dem Hafen oder Buitekamp, bey der Admiralität und den Schiffswerften vorbey bis zum sogenannten Bade, einem Lieblingsorte der Amsterdamer, die der ersten Frühlingssonnenschein zu den Thoren herauslockt -- und die Spazierfahrt zum Maiderthore hinaus, beym Judenkirchhofe vorbey bis zur Seeburg, einem lieblichen Gasthause, welches auf der letzten Spitze des Dammes liegt, den wir befahren, und von wo aus man den angenehmsten Blick über den Pampus auf die am jenseitigen Ufer gelegenen Dörfer gewinnt -- diese beyden Promenaden gehören unter die vorzüglichsten und besuchtesten der Stadt. Meine Neigung würde mich vielleicht eben so oft auch zum Harlemer Thore hinausführen, wo man vielleicht noch einige Bäume mehr, und, wie mir scheint, eine mannigfaltigere Verschiedenheit der Ansichten finden würde.

In der Stadt besuchten wir die Börse mit dem summenden und wogenden Menschengewühle, welches dem Meergeflüster gleicht -- das Stadthaus mit seinen grossen Sälen, aus denen ein eben getrautes Brautpaar mit seinem Gefolge heraustrat - die alte und neue Griechische und Armenische Kirche -- das Athenäum illustre, worin unter dem Vorsitze des Professors Crass öffentlich disputirt wurde, in dessen grossem Hörsale die Bildnisse berühmte Literatoren (worunter auch Luther mit aufgenommen war) zur Aufmunterung der lernbegierigen Jugend, von Papenbroek aufgestellt worden sind -- endlich auch das grosse, geschmackvolle Gebäude der Gesellschaft von Felix meritis, dessen innere Einrichtung wohl einer besondern Beschreibung werth wäre. Dieser Tempel der Künste und Wissenschaften besteht aus mehrern grossen Abtheilungen, deren jede ein eignes Stockwerk einnimmt. Gleich am Eingange tritt man in das grosse Vorzimmer, worin ausser den Tafeln der verzeichneten Mitglieder und der Vertheilung der Klassen, mitten im Saale auf jedem Tische eine Menge Tabackspfeifen liegen. Im Innern des Gebäudes tritt man unter in den grossen, runden Musiksaal, worin noch gestern Abend unter Fodors Direktion ein vortreffliches Concert gegeben wurde, welches sich sowohl durch das gutbesetzte Orchester, als auch durch das Solospiel einiger Virtuosen auf der Flöte, Clarinette, Violine und dem Violoncelle, durch den Gesang der M. Ruloff, welche die Stelle der Mad. Braun vertrat, und durch das mit vielem Beyfalle aufgenommene Spiel des Euphon- und Melodion-Virtuosen Diez sehr vortheilhaft auszeichnete. Ueber diesem Musiksaale findet sich ein ähnlicher, der dem künftigen Anbaue der Naturgeschickte gewidmet seyn soll. Bis jetzt hat man nur erst einige Fächer von den rings herumlaufenden Wandschränken mit Naturalien besetzt. Ein anderer sehr grosser und geräumiger Saal, der mit einem überaus kostbaren Apparate mechanischer, optischer und physikalischer Instrumente sich zu füllen anfängt, ist der Naturlehre gewidmet, die ihre besondere Vorlesungen in einem amphitheatralischen Hörsale hält, zu welchen der freye Zutritt allen Wissbegierigen geöffnet ist. Malerey und bildende Künste haben weiter oben ihre eigenen Säle, worin man die Abgüsse der vornehmsten Antiken, einige einzelne Studien in Gyps, auch verschiedene Vorrichtungen zum Zeichnen nach dem Leben, -- nirgends aber die erfreulichen Resultate dieser Anstalten gewahr wird. Einen der schönsten Säle hat die Letterkunde. So nennt der Holländer die Literatur, und versteht darunter alles, was sich im allgemeinen auf Wissenschaft und Kunst bezieht. Jede gelehrte Vorlesung über irgend einen Gegenstand der Wissbegierde findet hier ihren Raum. Auf einem Katheder, den nur Holländer so prächtig bauen, steht hier der Redner, und unterhält seine Zuhörer nach seinem und ihrem Wohgefallen.

Unter allen wissenschaftlichen Anstalten in der Welt kann es wohl nicht leicht, dem Aeussern nach zu urtheilen, eine glänzendere und mehr versprechendere Anstalt geben, als die man hier in Felix meritis findet. Entspräche sie ihrem Zwecke vollkommen, und wären die goldenen Früchte an dem schönen Baume reif, der so üppig aufwächst, dass er vor lauter Ueberfluss an Säften zu erkranken droht: mit Ehrerbietung würde der Freund der Wissenschaften und Kunst dieses Heiligthum betreten.

Aber, aber -- maar, spricht der Holländer, und dieses langsam gedehnte, hohlklingende, bedenkliche maar wird mir lange noch im Ohre wiedertönen. Es scheint, als wenn jeder Gedanke, der dem Holländer durch Worte entfliegt, mit diesem maar wir Noahs Taube in die Arche wieder zurückgerufen werden könnte, oder als wenn die Höflichkeit verlange, jede Behauptung mit einem maar zu verconditioniren, um die Möglichkeit des Gegentheils nicht aus der Acht zu lassen.

Wahr ist es also, die Holländer haben gewiss viele musterhafte, vortreffliche Einrichtungen. Wo giebt es zum Beyspiele eine Nation, die das schwache Alter so wohlthätig unterstützt, oder drey bis viertausend verlassne Kinder auf ein Mal in einer einzigen Stadt erziehen lässt, wie es zu Amsterdam im grossen Almoseniershause geschieht. Maar, unser Eduard sagt: es ist doch Schade, die armen Kinderchen, drey, vier bis fünfhundert beysammen, wie die Neger eingeschichtet, sie können doch nicht gesund erzogen werden. Ich glaube wohl, dass es nicht möglich wäre, so viele tausende für dieselbe Summe, die diese grosse Anstalt jährlich erfordert, bey guten Leuten auszuthun, um ihnen eine häusliche, älterliche Erziehung geben zu lassen; aber glücklich sind doch unsre Armen, die, wenn ihre Aeltern sie früh verlassen, durch unsre Veranstaltungen andre gute Aeltern wiederbekommen, und bey der häuslichen Pflege alle Familienvortheile geniessen, die arme Waysenkinder auf ihr ganzes Leben entbehren müssen.

Von der einfachen, schlichten, durch keinen Druck von aussen gebogenen, Natur bemerkt man noch eine zu grosse Abweichung in dem Lande, welches der Natur ausser einer unbegrenzten Wasserfläche, beynahe gar nichts, der Kunst hingegen und dem Getriebe der Kunst beynahe alles zu verdanken hat.

O drey Mal gesegnet sey das Land, dem Gott Berge und Thäler geschenkt hat! So seufzte ich heute bey dem lebhaften Andenken an die unübertroffenen Reize der Natur in meiner geliebten Heimat. Die Erinnerung an unsre Seereise und die bevorstehende Ueberfahrt über den Zuydersee nach Campen, oder weiter hin über den Dollart nach Emden, hat eine fröstelnde Fieberglut in mir entzündet. Denn kaum hatte ich heute die langen Stege betreten, die im Hafen, wohin wir fuhren, um die Schiffe herum, weit in das Wasser hineinflaufen, so fasste mich auch schon der ganze furchtbare Gedanke wieder, der mein Innres frostig und schauerlich zusammenrüttelt, meine Nervenspitzen überall die Wasserkälte wittern lässt, und meinen Kopf in ein unsicheres Schwanken versetzt, als wenn ich im schaukelnden Schiffe stände, ob ich gleich mit der Hand das sichere Geländer fasse. Und doch war der unübersehliche Anblick der Schiffe mit ihren hohen Masten und wirrigem Thauwerke und flatternden Wimpeln, durch welche Amsterdam mit seinem Häringspackerthurme, und über der See die noch viel weiter entfernten Dörfer am jenseitigen Ufer durchschimmerten, und der Anblick der wandelnden und wogenden Fahrzeuge mit ihren ausgespannten, sich durchkreuzenden Segeln, der rudernden Nachen, der kletternden Schiffsjungen, der gaffenden Zuschauer auf dem Schaugerüste, welches vor unserm Gasthause am Ende des Dammes, der in die See hineinsticht, über dem Wasser aufgestellt ist -- das alles war so einzig, wie man es auf dem festen Lande nirgends wieder sieht. Wir nahmen unsern Rückweg rund um die Stadt, bey den vielen hindert Bovenkrägern und Pfalzröden vorbey -- so unterscheidet man hier die oben und unten herum sich drehenden Windmühlen, womit der ganze Zingel, oder die Einfassung um Wall und Graben bedeckt ist -- bis zum Utrechter Thore, wodurch wir wieder nach Hause fuhren.


Neopolem


1812.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Holland und Frankreich, in Briefen geschrieben auf einer Reise von der Niederelbe nach Paris im Jahr 1796 und dem fünften der französischen Republik von Georg Friedrich Rebmann. Paris und Kölln.
  3. Dr. Johann Friedrich Droysen's Bemerkungen gesammelt auf einer Reise durch Holland und einen Theil Frankreichs im Sommer 1801. Göttingen bey Heinrich Dieterich. 1802.
  4. Reise nach Frankreich, England und Holland zu Anfange des Jahres 1803 gemacht und beschrieben von C. G. Horstig. Berlin, bei Friedrich Maurer 1806.