Operations-Plan zu dem lezten Kriege, entworfen von dem Wiener Hofe.[]
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Unter den Staatspapieren, welche das nunmehr abgegangene Englische Ministerium dem Parlamente zur Rechtfertigung seines Systems vorgelegt hat, befindet sich auch folgender merkwürdiger, von dem Wiener Hofe entworfene Operations-Plan, den wir hier mittheilen, da er so manche historische Aufschlüsse giebt. Er lautet wörtlich also:
"Frankreich hat nach seiner neuen Organisation
112 Regimenter Linien Infanterie 404,828 Mann 30 Regimenter leichter Infanterie 107,540 – 85 -- Cavallerie 64,226 – 16 -- Artillerie 21,436 – 598,024 Mann Diese Zahl, verstärkt durch die verschiedenen Corps, welche sich in Corsica und auf den Inseln befinden, durch 21 Holländische Regimenter, 11 Schweizer-Regimenter, 18 Regimenter Italienischer Hülfstruppen, und durch die Kaiserl. Garde, 15000 Mann stark, bringt die ganze Französische Kriegsmacht auf 651,964 Mann. Großentheils sind die Truppen schon auf dem Kriegsfuß. Ein großes Debarquement von Seiten der Engländer an den Französischen Küsten, mit der Aussicht eines siegreichen Resultats, ist fast unmöglich. Frankreich brauchte also in seinem Innern und längs den Küsten wenig Truppen zurück zu lassen. Eine gut organisirte Nationalgarde würde demselben Mittel verschaffen, die regulären Truppen zur Beschützung seines Landes entbehren zu können. Diese verschiedenen Erwägungen führen zu dem Resultat, daß die Franzosen in Italien, in der Schweiz und Deutschland 500000 Mann agiren lassen können. Gegen diese Macht bilden die 250000 Oesterreicher und 115000 Russen, welche durch den lezten Tractat stipulirt worden, ein in Vergleichung um so nachtheiligeres Ganze, da man auf die Schwedischen und Englischen Truppen nicht viel rechnen könnte, (qu'on ne pourroit pas faire beaucoup de fonds sur les Suedois et les troupes Angloises) welches dann zu folgenden Schlüsse leitet:
1) In Hinsicht dieser Berechnung und der Vortheile des Terrains, welche Frankreich in seiner geographischen Lage hat, sowohl defensive als offensive zu agiren, bleibt die Erhaltung des Friedens, bis zu günstigern Conjuncturen, sehr wünschenswerth.
2) Wenn indessen der Krieg, nicht nur wegen des glücklichen Erfolgs, sondern auch um noch größere Uebel als die des Augenblicks zu vermeiden, unabwendbar wäre, so würde es für die alliirten Höfe unumgänglich nöthig seyn, mit den nachdrücklichsten Anstrengungen zu agiren, um denen des Feindes wenigstens gleiche Mittel entgegen zu setzen, wenn es nicht möglich wäre, sie zu übertreffen.
Das Militär, die Finanzen und die Politik müssen mit einander cooperiren, um die großen Mittel herbei zu schaffen, welche dahin führen können, solche Anstrengungen zu bewürken.
1) Das Militär: diese Cooperation der drei Branchen der Staatsverwaltung würde vergebens seyn, wenn die Oesterreichischen Armeen nicht mit mehr als 300,000 Mann ins Feld rückten. Die erste Beilage zeigt wie groß die Bedürfnisse der K. K. Armee, an Recruten, Remonten und Ergänzungen sind, um sie von ihrem jetzigen schwachen Friedensetat zu der oben erwähnten Zahl zu bringen, und um zu gleicher Zeit im Innern des Landes, und zur wahrscheinlichen Observation von Preußen Truppen zu lassen. Die Schwierigkeiten werden noch durch die Dislocation der Armee vermehrt. Man hat freilich zum Theil diesen den Gesundheits Cordon abgeholfen, der die Venetianischen Staaten wider einen Ueberfall der Franzosen schützt; allein wenn man Maaßregeln ergreifen müßte, um eine große Macht der feindlichen entgegen zu stellen, welche aus dem Innern des Landes gegen uns vorrücken könnte, dann würden die schleunigsten und nachdrücklichsten Dispositionen unumgänglich nothwendig seyn, um bei Zeiten die Oesterreichischen Truppen, welche sich großentheils entfernt von den bedrohten Grenzen befinden, zusammenzuziehen, um sie auf den Kriegsfuß zu setzen und sie nach den entblößten Puncten marschiren zu lassen. Diese erste Maaßregeln müßte aber mit desto größrer Thätigkeit ausgeführt werden, da man voraussetzen könnte, daß die Russischen Truppen, wegen ihrer Entfernung, nur dann erst auf den Operationspunct eintreffen würden, wann die K. K. Armee die ersten Anstrengungen des Feindes würde abgehalten haben. Diese großen Schwierigkeiten würden aber Se. Majestät, im Fall eines unvermeidbaren Kriegs, doch nicht abhalten, dieselben durch die kräftigsten Anstrengungen zu besiegen und ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Allein um diesen festen Entschluß in Ausführung zu bringen, wäre es ein wesentlicher Punct:
2) Daß die Finanzen dazu die Mittel an die Hand gaben, und die Schwierigkeiten, welche in dieser Hinsicht obwalteten, gehoben würden. Man hat dem Russisch-Kaiserlichen Hof schon zu erkennen gegeben, welche große, nothwendige Kosten, die Completirung der Infanterie, der Cavallerie, des Trains und des Commissariats, die Anlegung der Magazine, und die Stellung der ganzen Armee auf den Kriegsfuß verursachen würden. Die von England verlangte Unterstützung von 15 Millionen Gulden für die Kosten, als premiere mise en campagne, würde kaum hinreichen, die Hälfte damit zu bezahlen. Jede Campagne des letzten Kriegs hat 110 bis 120 Millionen gekostet. Die Theurung, welche seitdem sehr zugenommen hat, würde die Kosten noch vermehren. Gesezt aber, daß sie sich nicht höher belaufen würden, so bliebe bei den 30 Millionen Subsidien, welche man von England verlangte, und bei der jährlichen Summe für die Armee, noch ein enormes Deficit, welches die verschuldeten Finanzen Oesterreichs kaum decken würden. Es folgt hieraus nothwendig, daß wenn England die verlangten Subsidien nicht bezahlen wolle, es dem Wiener Hofe unmöglich wäre, ungeachtet des völligen Entschlusses, sich auch nur zu einem Kriege zu rüsten, welchen man, ohne die Versicherung ihn aushalten zu können, gar nicht wagen dürfte zu versuchen.
Nach der Darlegung dieser verschiedenen Reflexionen, geht man zur Entwickelung der Operationen über, welche die Armeen in Italien, in Tyrol, und in dem an Deutschland grenzenden Theil der Schweiz, in vollkommner Uebereinstimmung zwischen ihren Bewegungen, zu machen hätten. Diese vereinigten Operationen müssen die ersten Plane und die Macht des Feindes beschäftigen; von ihrem schleunigen oder langsamen Erfolg, von ihren glücklichen oder unglücklichen Resultaten, wird das Schicksal des ganzen Kriegs und das Schicksal von Europa abhängen.
Wenn man die geographische Lage Frankreichs und seiner Grenzen nach der Seite von Deutschland, der Schweiz, welche ihm unterworfen ist, und des Italienischen Königreichs betrachtet, und dann einen Blick auf die Lage der Erbstaaten wirft; so fällt es in die Augen, daß eine Operation von Deutschland aus, gegen den Elsaß oder den Rhein, fehlerhaft seyn würde. Man würde sie nur unternehmen können, wenn man bei Manheim über den Rhein ginge, oder indem man Mainz belagerte.
Bei der ersten dieser Bewegungen hätte man den großen Nachtheil, mit dem ersten Schritt sich mitten unter festen Plätzen vom ersten Range zu befinden, und zu einem Belagerungskrieg gezwungen zu seyn, der sowohl viel Geld als viele Menschen kostete, und wo das Resultat des glücklichsten Feldzugs, höchstens die Uebergabe eines dieser Plätze seyn würde. Wollte man Mainz belagern, so müßte man wenigstens 50000 Mann haben, um diesen Platz einzuschließen und um diese Operation zu decken. Die Größe und die Stärke von Mainz würde uns eine halbe Campagne vor dieser Festung aufhalten, und jede Operation, welche man nach ihrer Eroberung versuchen wollte, würde nur zu sehr ungewissen oder gar nichtigen Resultaten führen, weil einer Seits die Plätze von der Maas, und andrer Seits die im Elsaß, allenthalben unsre Armeen aufhalten würden. Zu diesen wichtigen Erwägungen kommt noch eine nicht minder erheblich, daß, da diese beiden Operationen, nur mit großen Armeen können ausgeführt werden -- nur wenig Truppen übrig bleiben würden, um den Oberrhein zu decken. Der Feind würde diese schwache Seite benutzen, würde gegen selbige marschiren, während daß man Mainz oder Landau belagerte, und würde sich also auf einer kürzern Linie wie wir mit unsern Communicationen befinden, und folglich auch unsern Transporten naher als wir seyn. Man würde alsdann, ohne eine Schlacht zu liefern, genöthigt seyn, alles aufzuopfern, um von diesen nicht abgeschnitten zu werden.
Eine Operation gegen die Schweiz, und von da aus gegen Frankreich, durch die Franche-Comté, würde für den Feind unstreitig, am mehrsten zu fürchten seyn. Hier sind seine Grenzen offen; allein da eine solche Operation, nur durch Schwaben, durch Vorarlberg, oder unterhalb des Boden-Sees ausgeführt werden kann, und zwar wegen der Unmöglichkeit die Transporte durch Tyrol zu schicken, so müßte man, ehe dies unternommen würde, in Schwaben Fortschritte gemacht haben, und sie durch ein Observations-Corps, Straßburg gegen über decken. Man müßte auch in Italien selbst schon Vortheile errungen haben, ehe man die Schweiz angriffe. In Italien würde ein erzwungner Rückzug nach Klagenfurt die Cooporation der Tyroler Armee, um die Schweiz anzugreifen, aufhalten. Der Feind würde das Pusterthal, (das Pusterthal liegt zwischen Lienz und Brixen, und communicirt mit dem Etsch-Thal) auf der großen Communications-Straße unsrer Transporte mit Tyrol, in Besitz nehmen; man würde genöthigt seyn, Inner-Oesterreich durch Truppen von der Deutschen Armee zu verstärken, und nicht nur jeden Offensiv-Operation zu entsagen, sondern sich sogar bloß darauf beschränken müssen, nur bis an den Lech in Deutschland, oder wenigstens bis an den Inn vorzurücken, und da eine Defensiv-Position zu nehmen, um nicht zu weit von Oesterreich entfernt zu seyn, und immer im Stande, um dahin bei Zeiten den nothwendigen Succurs zu schicken.
Das Resultat dieses Räsonnements ist, daß der Krieg auf eine nachdrückliche, offensive Weise in Italien muß angefangen werden; hier müssen wir ihn mit der überlegenen Macht unsrer Armeen unternehmen. Hier würde ein errungener Sieg uns eben so viele Mittel zu einer Offensiv-Operation gegen Frankreich geben, als eine verlorne Schlacht der feindlichen Armee es sehr erleichtern würde, ins Innere der Erbstaaten vorzudringen. Wenn unsre Lage Schwierigkeiten, ja selbst die Unmöglichkeit darlegt, unsre Truppen in eben der Zeit zu bewaffnen und an die Grenzen zu versetzen, in welcher der Feind es thut, wie viel weniger darf man sich dann schmeicheln, daß die Russisch-Kaiserlichen Truppen beim Anfange des Kriegs zur rechten Zeit eintreffen.
Es würde Frankreich sehr wichtig seyn, alles anzuwenden, um ihrer Ankunft durch eine entschiedene Superiorität zuvorzukommen; und eine Versammlung unsrer Truppen oder der Marsch der Russen, würde schon Bonaparte einen scheinbaren Vorwand geben, um den Krieg sogleich zu erklären. Diese Bemerkung setzt also voraus, daß bei der Entwickelung eines Operationsplans im Fall eines Kriegs gegen Frankreich, die erste Repartition und Disposition der Truppen, der Anfang und der erste Gang der Bewegungen, blos auf die eigene Macht der Oesterreichischen Armee berechnet sey.
Die Armee in Italien müßte ihre Bewegungen damit anfangen, den Uebergang über die Etsch zu forciren, den Feind von Mincio zu verdrängen, Mantua und Peschiera einzuschließen, ein Corps an den Po zu detaschiren, um das südliche Italien zu beobachten, und sich einen Weg bis an die Adda zu bahnen, um die Blokade oder die Belagerung dieser Plätze zu decken. Nur ihre Uebergabe oder sehr glückliche wichtige Begebenheiten, auf welchen man gar keine Berechnung gründen kann, würden den General dieser Armee bewegen können, weiter zu gehen.
Die Armee in Deutschland würde ihren Feldzug mit dem Uebergange über den Inn eröffnen, in Baiern vorrücken, und am Lech, ehe sie ihre fernern Bewegungen anfinge, die andern Armeen, vorzüglich die Ankunft der Russischen erwarten. Das Armee-Corps in Tyrol würde seine Bewegungen blos nach den Armeen in Italien und Deutschland zu richten haben. Bei einer Operation gegen die Schweiz, würde ein Theil der Truppen in Tyrol zum Angriff von Graubünden und der kleinen Cantons gebraucht werden, und der andere würde, so wie die Italienische Armee gute Fortschritte machte, aus seinen Defensiv-Positionen vorrücken, und sich mit ihr vereinigen. Dies ist alles, was wir bei den größten Anstrengungen, und bei dem glücklichsten Erfolg, bis zur Entwiklung der gemeinschaftlichen Operationen, bewürken können. Wenn beim Anfang der Feindseligkeiten, Italien der entscheidende Punct ist; so wird es die Schweiz, sobald als wir dort einen glücklichen Erfolg gehabt haben, und wir in Schwaben vorgerückt sind. Die Schweiz bietet dem Sieger den Vortheil der kürzesten Vereinigung zwischen Italien und Deutschland an, und erleichtert es sehr, von einem Lande nach dem andern schleunig Verstärkungen zu schicken, und von hier aus ist es auch nur, wo man sich Frankreich von der Seite des Elsaßes durch die Einnahme von Belfort und Hüningen decken, und zu gleicher Zeit ein beträchtliches Corps in Schwaben lassen, um gegen jeden Versuch der Franzosen von Straßburg her, die rechte Flanke der Armee in der Schweiz zu decken, und die Communication unsrer Transporte zu sichern. Man hat die Gründe umständlich angegeben, warum in diesem allgemeinen Operationsplane nicht angezeigt ist, auf welche Art die Truppen der beiden Kaiserhöfe zu cooperiren haben würden, entweder zusammen amalgamirt oder durch ihre Bewegungen mit einander vereinigt. Zuvörderst mußte man auf den Fall denken, daß Oesterreich von Frankreich angegriffen werden könnte, ehe die Russen in Deutschland angekommen wären. Ferner hängt die Bestimmung der gemeinschaftlichen Operationen der beiden Höfe von dem Entschlusse Preussens ab, und wie weit man auf seine Cooperation, seine Neutralität, oder seine Weigerung rechnen darf. Das letzte Problem wird -- Dank sey's den weisen Maaßregeln des Kaisers Alexander, -- bald gelöset werden, und dann wird man im Stande seyn, dem Verlangen des Russischen Hofes gemäß, die Vorschläge zu machen, welche seine Cooperation zu dem gemeinschaftlichen Zweck beabsichtigen.
Man fügt hier noch zum Voraus die Bemerkung hinzu, daß die Operations-Linie von Italien die entfernteste ist, und daß dort der Feldzug mit dem größten Nachdruck muß eröffnet werden, daß daher der Wiener Hof dahin eine große Armee marschiren lassen wird, um auf dieser Linie mit der Schnelle des Blitzes agiren zu können, und daß in der Folge der Marsch der Russischen Truppen nach Italien, und ihre Umtauschung mit den Oesterreichischen, mitten in den Bewegungen der großen Operationen unmöglich seyn würde.
Sobald man von dem Resultat des großen und wichtigen Schrittes näher benachrichtiget seyn wird, welchen Se. Kaiserl. Maj. aller Reußen zu Berlin haben thun lassen, so wird man unverzüglich die freundschaftlichen Vorschlage und die Bemerkungen über die Operationen der beiden Kaiserhöfe in Deutschland ergänzen, und diese weitern Bemerkungen dem Russischen Hofe mittheilen."
Quellen.[]
- ↑ Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Jahrgang 1806.