Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Von Reisenden.[]

Samuel Christop Wagener.[]

[1]

[1793]

Die Anzahl der Einwohner Nimwegens ist gegenwärtig durch ungefehr 1500 französische Ausgewanderte vergrößert. Man findet hier große charakteristische Gruppen von diesen durch die Stürme des Schicksals verschlagenen Unglücklichen. In dem einen der hiesigen Kaffehäuser sah ich sie in so traurigen verzweiflungsvollen Gestalten, daß sie mir nie herzlicheres Mitleid eingeflößt haben, als hier. Großentheils sie alle, die ich hier sah, waren einst wohlhabende Mitglieder des jetzt so unglücklichen, zerrütteten Staats. Fast alle verließen aus Liebe zu ihrem Könige und -- immerhin auch aus Liebe zu ihren liegenden Gründen [wer verliert das Seinige gern?] Weib und Kinder, Freunde und Verwandte, an denen ihr Herz jetzt im tiefen Gefühle ihres Elends inniger hängt, als je. Die ihnen von den schwelgenden französischen Prinzen vorgespiegelte Hoffnung, bald ehrenvoll in den ruhigen Besitz des Ihrigen zurückzukehren, hatte sie bisher so ganz getäuscht, dagegen wurden ihre Angelegenheiten immer verwikkelter, immer hoffnungsloser. Unserer Seits entließ man das Korps, unter welchem diese seit ihrer ersten Jugend an alle Arten des Luxus gewöhnten Edelleute großentheils als gemeine Soldaten gedient hatten -- Man wies ihnen nicht nur keinen Unterhalt an, sondern verweigerte ihnen sogar in den mehresten Provinzen Deutschlands einen sichern Zufluchtsort. Von Seiten Frankreich mordete man die Stütze ihrer Hoffnungen, ihren König, verkaufte ihre Güther, setzte Prämien auf ihre Köpfe und die unfehlbare Todesstrafe auf ihre Rükkehr ins Reich, verbot den zurückgelassenen Ihrigen, ihnen Geld und Geldeswerth ins Ausland nachzuschikken, verweigerte ihren Weibern und Kindern die erforderlichen Pässe, um ebenfalls auswandern, um das bittere Loos mit dem geliebten Manne, Vater und Bruder theilen zu können. Und zu dem allen kommt nun noch, daß die Baarschaften, mit welchen sie Frankreich verließen, bereits während der unfruchtbaren Zeit ihrer vorjährigen Kriegesdienste darauf gegangen sind, auch ihre Equipage ist bereits verkauft und verzehret. Die mehresten dieser Herren, unter denen ich harmvolle Greise und Männer fand, die einst ihrem Vaterlande als Admirale und Generale gedient hatten, tragen einen elenden Mantel oder einen veralteten Ueberrock, dem man es ansieht, daß er nicht für sie gemacht, sondern auf dem Trödel gekauft ist. Niemand im Auslande borgt ihnen einen rothen Pfennig, nur sie selbst stehen sich brüderlich unter einander bei, aber die Dürftigen unter ihnen konnten nur so lange von den Reichern unterstützt werden, als diese noch abzugeben hatten. Jetzt, wo letztere kaum selbst noch wissen, woher sie für ihre eigene Person die Befriedigung der ersten Bedürfnisse auf den morgenden Tag nehmen sollen -- jetzt ruhet diese lastende Sorge für den kommenden Tag bereits auf ihnen allen. Aus Mangel an einer warmen Stube versammeln sie sich hier täglich zu hunderten in den erwärmten Zimmern der Kaffehäuser, um sich einander ein kärgliches Wort des Trostes zu zu sprechen. Bei weitem die Mehresten verzehren aber keinen Stüber hier, weil sie oft keinen haben, und der harte Wirth beschwerte sich, da noch immer mehr in die schon angefüllte Billardstube eindrangen, ganz laut darüber, daß man seine einheimischen Kunden, die Geld bei ihm verzehrten, verdränge und weggewöhne, und meinte, daß er, um noch ferner für Licht und Heizung seiner Gastzimmer sorgen zu können, von seinen Gästen auch Verdienste zu haben wünsche. Es that mir in der Seele weh, bei diesen verscheuchenden und beschämenden Worten des Wirths zu bemerken, daß ein Paar kaum hereingetretene Franzosen, die kein Geld in der Tasche haben mogten, und das hörten, sich sogleich bescheiden und wehmüthig wieder wegschlichen.

In der That, das Schicksal dieser Ausgewanderten -- selbst verschuldet oder nicht, gleich viel -- ist, so wie die Sachen jetzt stehen, in einem hohen Grade hart. Sie, die nur gewohnt waren, sich bedienen zu lassen, suchen jetzt als Schreiber, als Kammerdiener xc. unter einem angenommenen Namen Herrschaften, um nur nicht Hungers zu sterben. Aber auch das gelingt ihnen nicht einmal, wenn man ihren Stand entdeckt, oder die guten Zeugnisse ihrer vorigen Herrschaft zu sehen verlangt, und in Erfahrung bringt, daß die Vorliebe des Franzosen für seine Sprache ihm nicht erlaubt hat, sich auf die deutsche, holländische oder englische Sprache zu legen. Jetzt setzen sie ihre einzige Hoffnung noch auf ein im holländischen Solde zu errichtendes Freikorps gegen Frankreich, unter welchem sie wieder Dienste nehmen wollen.

Immer hat indessen der natürliche Gang der Dinge eine schwere Probe aufgelegt: aber ich bin dennoch vest überzeugt, daß eben dieser Gang der Dinge, der seit Ewigkeiten im Buche des Schicksals niedergeschrieben war -- in seinen Folgen fürs Ganze untadelhaft gut ist, gesetzt auch, daß Tausende als Schlachtopfer zum Besten des von Sterblichen unübersehbaren Ganzen darüber zu Grunde gehen müßten.

Ganz unleugbar ist es übrigens, daß mancher Franzose überhaupt, und viele von den Ausgewanderten insbesondere, auf die unverschuldetste Art vom Strudel des herrschenden Wirrwarrs ins Unglück unwillkürlich mit hineingerissen wurden. Ob je einmal auch für diese eine Zeit kommen wird, in welcher sie werden sagen können: Auf Regen folgt Sonnenschein?


Carl Gottlob Küttner.[]

[1794]

[2]

Helvötsluys.

Was uns diese ganze Reise durch Westphalen und die Niederlande äußerst beschwerlich gemacht hat, war die ungeheure Menge von Ausgewanderten. Von den holländischen habe ich Ihnen schon zu Hanover gesagt, aber so wie wir weiter kamen, stießen wir auch auf das ganze Heer französischer Ausgewanderter. Diese bedeckten alle Straßen, füllten alle Wirthshäuser; in der Stadt Osnabrück allein zählte man ihrer etliche hundert die alle ganz kürzlich erst angekommen waren.

Sie wissen, oder wissen nicht, daß eine Menge kleine Städte und Dörfer am Rheine, von Düsseldorf bis in die vereinigten Niederlande hinab, mit Franzosen angefüllt gewesen sind! Alle diese, bey den zeitherigen Fortschritten ihrer Republikanischen Landesleute von Furcht ergriffen, haben ihre Wohnsitze verlassen und ziehen sich nur etwas tiefer nach Deutschland zurück. Noch immer halten sie sich so viel als möglich in der Nähe der Französischen Gränzen, theils, weil es ihnen an Gelde fehlet, weiter zu gehen, theils weil viele wirklich selbst jetzt noch unvernünftig genug sind, zu glauben, daß sie von einem Monathe zum andern ihren Rückzug in ihr Vaterland werden machen können.

Die Bisthümer Osnabrück und Münster, die Grafschaft Bentheim und diese sämtlichen Striche sind voll von Ausgewanderten, deren manche bey westphälischen Bauern wohnen und bey ihnen an die Kost gehen. Man hat mir von Frauenzimmern von hohen Stande erzählet, die durch Spinnen die armselige Summe gewinnen, die sie an den Bauern entrichten. Das Elend einiger derselben ist in diesen Gegenden unaussprechlich. Auf allen Postwegen, welche offen sind und Tag und Nacht reißen, sahe ich anständig gekleidete Frauenzimmer, und viele hatten kleine Kinder bey sich, die, so wie ihre Mütter, keinesweges eine Bedeckung hatten, die sie gegen das Ungestüm der gegenwärtigen Jahreszeit und Witterung sichern konnte.

Vieler dieser Unglücklichen wenden sich nach England, weil sie glauben, es sey das Land, wo man alle Französische Emigranten ernähren müsse. Welchem Ungemach sind sie nicht schon auf ihrer Reise durch dieses Holland ausgesetzt, wo der ärmere Theil solcher Menschen oft nicht einmal ein Obdach findet, weil alle öffentliche Häuser voll sind. Ich habe mehrere derselben diesen ganzen Nachmittag hier von der Thüre sitzen sehen, worunter sich eine mit einem Kinde von etwan 2 Jahren befand, die alle auf die nächste Ueberfahrt nach England warten. Mehrere wurden nicht nur ab, sondern mit Härte und Grobheit zurück gewiesen.

Wie ich Ihnen schon gesagt habe. Holland wird eine schlechte Vertheidigung gegen die Franzosen machen! Zwar habe ich auf meinem Wege hierher große Anstalten gesehen, besonders zwischen Utrecht und Gouda, wo man einen langen Strich Landes befestiget und die Werke bey Montfort und Oudewater ausgebessert hat; zwar mach die Oranische und Englische Armee grosse Vorbereitungen; allein ich fürchte, es wird Alles vergebens seyn. Wie kann der Soldat Muth, oder Interesse haben, ein Land zu vertheidigen, dessen reiche Einwohner, wenn sie nicht für die Französ. Partey sind, er schaarenweiße ausziehen sieht? Selbst die Engländer, die viele Jahre lang in Holland wie Einheimische gelebt haben, nehmen ihren Abschied, oder haben ihn schon genommen. Mehrere große Häuser von Amsterdam warten auf das nächste Packetboot, und zu Rotterdam sagten mir einige dort etablirte Engländer, daß sie jetzt in großer Unruhe wären, weil sie sich so eben damit beschäftigten, ihr Vermögen aus dem Lande zu schaffen.


Quellen.[]

  1. Ueber den Feldzug der Preußen gegen die Nordarmee der Neufranken im Jahr 1793. Von einem Beobachter, welcher die jetzigen Feldzüge der verbündeten deutschen Heere mitmacht. Stendal, bei Franzen und Grosse, 1795.
  2. Wanderungen durch die Niederlande, Deutschland, die Schweiz und Italien in den Jahren 1793 und 1794. Leipzig, 1796. bei Voß und Kompagnie.
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